Im Land von »Klein Cäsar«

Die Insel Jolo ist der mit Abstand unsicherste Teil der Philippinen. Das
Geschäft mit Entführungen und Drogenhandel boomt. Für geschickte Vermittler eine
lukrative Angelegenheit

Rainer Werning
Noch im Dezember letzten Jahres sprühte der drahtige
Mittvierziger, stets freundliche und zu Scherzen aufgelegte Malik
L. (Name geändert) vor Lebenslust. Mehrfach begleitete er mich
in den letzten Jahren auf Reisen durch die Insel Jolo auf den
südlichen Philippinen. Gemeinsam mit Verwandten und engen
Freunden sorgte er als ständiger Begleitschutz für die
notwendige »security«. Denn »Sicherheit«,
so einer von Maliks Lieblingssprüchen, war sein Geschäft,
»da kenne ich mich aus«. Kein Wunder, Malik arbeitete
hauptberuflich als Polizist. »Mitglied der Philippine
National Police«, wie er stets stolz betonte. Und immer
schwang dabei dieser ironische Unterton mit, der auf Jolo so
verbreitet ist. Denn nur mit Ironie, so scheint es, lassen sich die
allgegenwärtige Tristesse und Gewalt vergessen, der die knapp
500000 Einwohner der Insel ausgeliefert sind. 

Tragischer Verlust

Unvergeßlich die Szene, als Malik einmal nach einer
völlig schweißtreibenden Tages­tour zu verschiedenen
Gesprächspartnern ein frisches T-Shirt aus dem Wagen holte, es
sich überstreifte und breit grinsend, als schwenkte er
lausbübisch eine kleine Trophäe, auf die Hemdaufschrift
zeigte: »Feel safe tonight, sleep with a cop«
(»Fühl’ dich sicher heute Nacht, schlaf’ mit
’nem Polizisten«) – war darauf gedruckt. Dann
füllte er einen Plastikteller mit Reis, Gemüse,
Fischbällchen oder Seetang, sprenkelte Sojasauce darüber,
um sich, etwas abseits kauernd, zum Abendessen
zurückzuziehen.

Anfang Februar kam die traurige Nachricht. Verwandte erhielten die
Mitteilung, daß Malik erschossen wurde. Er sei, wie es
spröde in dem Brief hieß, aus kurzer Entfernung durch
einen Kopfschuß niedergestreckt worden. Offensichtlich
abgefeuert von einem Kollegen, dessen krummen Machenschaften Malik
auf die Spur gekommen war. Der wollte verhindern, daß sie
publik werden. Es ging um Drogengeschäfte– genauer um
den Handel mit Methamphetamin, vor Ort besser unter dem Namen Shabu
bekannt. Das kristalline, geruchlose und bittere Pulver ist
vergleichsweise leicht herzustellen, billig und überall
erhältlich– auch auf Jolo. Geschnieft, geraucht oder
gespritzt, Shabu ist klassenübergreifend beliebt;
Tagelöhner ziehen sich das Zeug ebenso rein wie die, die
meinen, zur Schickeria zu gehören.

Dubiose Geschäfte

Jolo ist der mit Abstand unsicherste Teil des Inselstaates. Wer
hier den Shabu-Handel kontrolliert oder seine Finger im Waffen- und
Bartergeschäft mit Waren aus den angrenzenden
Nachbarländern Malaysia und Indonesien hat, zählt zu den
Big Shots im Sulu-Archipel.

Seit einigen Jahren lassen sich auch mit Geiselnahmen lukrative
Geschäfte machen, die Entführungsbranche boomt. Meist
sind die Opfer reiche Geschäftsleute chinesischer Abstammung.
Aber auch Touristen lohnen sich.

So sorgte Jolo vor elf Jahren auch international für Furore.
Im Frühjahr 2000 hatten Mitglieder der im Sulu-Archipel
operierenden Abu Sayyaf-Gruppe in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
mehrere ausländische Touristen, darunter auch die aus
Göttingen stammende Familie Wallert, von der ostmalaysischen
Ferieninsel Sipadan entführt. Sie wurden mit Schnellbooten
nach Jolo geschippert und dort über vier Monate lang
gefangengehalten. Erst nach zähen Verhandlungen –
maßgeblich unter Beteiligung des früheren, mit den
Lokalverhältnissen bestens vertrauten libyschen Botschafters
in Manila – kamen die Geiseln nach hohen
Lösegeldzahlungen auf freien Fuß.

Einen enormen Prestigegewinn aus der Aktion zog übrigens
Muammar al-Ghaddafi. Die Freigelassenen traten ihre langersehnte
Heimreise in Würdigung der Vermittlerrolle Libyens allesamt
über die Zwischenstation Tripolis an. Dort ließ es sich
der libysche Staatschef nicht nehmen, sich mit ihnen für
eigens angereiste internationale Medienvertreter in Szene zu
setzen.

Doch Ghaddafi ist nicht der einzige, der weiß, aus solchen
Situationen Kapital zu schlagen. Auch vor Ort konnten sich
zwielichtige Politiker als Vermittler brüsten. Einer von ihnen
ist der 61jährige Gouverneur der Provinz Sulu, Abdusakur M.
Tan, oder der »Kleine Cäsar«, wie er hinter
vorgehaltener Hand genannt wird. Öffentlich gefällt er
sich am liebsten in der Pose eines »energischen
Machers«, der zudem, wie er selber gern betont, »unter
einem glücklichen Stern geboren wurde«.

Auf dem Höhepunkt der Geiselnahme im Sommer 2000 war Tans
Residenz eine Art »Clearingstelle«. Zahlreiche
Verhandlungen wurden dort geführt. Und jede freigelassene
Geisel mußte zuerst ihm die Aufwartung machen, bevor sie aus
Jolo ausgeflogen wurde. Auch floß reichlich Geld, von dem
»Klein Cäsar« genauso profitierte wie seine
Gefolgsleute.

Zumindest an den Urnen wurde es ihm gedankt. Keinem anderen
Regionalpolitiker ist es jemals gelungen, zweimal diesen Posten zu
bekleiden. Seine erste Amtszeit als Gouverneur währte von 1996
bis 2001, und bei den Wahlen Mitte Mai 2007 machte er erneut das
Rennen.

Ein großer Coup jedoch glückte dem »Kleinen
Cäsar«, als er jüngst dem in Manila ansässigen
US-Botschafter, Harry K. Thomas Jr., einen Empfang bereitete.
Dessen erste Stippvisite auf Jolo stand ganz im Zeichen
fortgesetzter enger Kooperation. Wichtiger Begleiter in der
Entourage von Mr. Thomas war mit Generalleutnant Raymundo Ferrer
ein in psychologischer Kriegführung geschulter Eliteoffizier,
der seit November 2010 neuer Befehlshaber des in Zamboanga City
gelegenen Western Mindanao Command (WestMinCom) ist. Das WestMinCom
ist verantwortlich für die Bekämpfung des
»muslimischen Terrors« im Süden des Landes. Auf
dessen Gelände befindet sich ein hermetisch abgeriegeltes
US-Kontingent.

Und neben den Inseln Mindanao und Basilan sind auch auf Jolo GIs
stationiert, die als Eliteeinheiten im Rahmen der Special
Operations Task Force-Philippines (JSOTF-P) eingesetzt werden. Sie
unterweisen ihre philippinischen Kameraden in Strategie und Taktik
der »Aufstandsbekämpfung« und beteiligen sich
sporadisch an Kampfeinsätzen gegen die Abu Sayyaf, was
allerdings in Manila und Washington stets vehement dementiert wird.
Gleichzeitig betätigen sie sich als
»Entwicklungshelfer«; sie kümmern sich um die
medizinische Versorgung sowie den Bau von Brunnen, Straßen
und andere Infrastrukturprojekte. All das verbucht der Gouverneur
allerdings auf sein Konto. Kurzum: Wer Tan zum Feind hat, muß
sich und seine Freunde rund um die Uhr schützen oder rasch in
Deckung gehen beziehungsweise untertauchen.

Stimme aus dem Untergrund

So wie Temogen Tulawie, von Freunden und Bekannten kurz
»Cocoy« genannt, im vergangenen Sommer.
»Cocoy« gehört zu einer seltenen Spezies auf Jolo:
Wiewohl er gleichsam einem einflußreichen Clan entstammt,
zählt er zu den rührigsten Menschenrechtsaktivisten auf
der Insel. Mehrfach hatte er das selbstherrliche Gebaren von
Gouverneur Tan kritisiert und vor allem dessen Praxis, nach
Gutdünken den Ausnahmezustand über die Insel zu
verhängen, öffentlich angeprangert.

Und der revanchierte sich postwendend. Auf Betreiben der Tan
ebenfalls hörigen Gerichte erwirkte dieser eine saftige
Anklage gegen Tulawie. Ihm wird neben unerlaubtem Waffenbesitz zur
Last gelegt, zwei Attentatsversuche auf den Gouverneur und seine
Gefolgschaft vor dem Provinzhauptquartier in Jolo sowie auf dem
Flughafen von Zamboanga City auf der vorgelagerten Insel Mindanao
verübt zu haben.

»Cocoy« erfuhr von den Anschuldigungen durch ein
Telefonat mit seiner Frau. Er selber befand sich zu der Zeit gerade
auf der Insel Mindanao, wo Kollegen ihm dringlich rieten, lieber
unterzutauchen, als sich den Behörden in Jolo City zu stellen.
Bis heute lebt er im Untergrund, geschützt von Bekannten und
Freunden und unterstützt von Menschen- und
Bürgerrechtsorganisationen. Über diese Kanäle
hält er Kontakt zur Außenwelt.

Für den Menschenrechtsaktivisten steht außer Frage,
daß Gouverneur Tan ihn zum Schweigen bringen will: »Auf
den Philippinen, von Sulu ganz zu schweigen«, erklärt
»Cocoy« verbittert per Handy, »dient das Gesetz
nicht dem Volk, für das es geschaffen wurde. Die
Unschuldsvermutung ist hier außer Kraft gesetzt.« Statt
dessen gälte man als schuldig, solange man nicht selber das
Gegenteil beweisen kann. »Dann sperrt man dich weg, bis du
gänzlich in Vergessenheit gerätst.« Das
erkläre, so »Cocoy«, warum auf Jolo staatliche
Sicherheitskräfte ungestraft Leute während islamischer
Feste wie dem Eid-al-Fitr oder Weihnachten bombardieren, Massaker
an der Zivilbevölkerung begehen, Vergewaltigungen ignorieren
oder Drogenhändlern sichere Nischen bieten können. Wenn
immer Mütter, Frauen und Töchter in sein Büro
gekommen seien und dagegen protestieren, daß ihre Väter,
Männer, Söhne und Brüder am hellichten Tag
aufgegriffen und als »Gesetzlose« eingesperrt wurden,
sei der Gouverneur aufgetaucht und habe mit herzloser Miene gesagt,
man könne halt nichts tun, wenn die Leute arm sind und sich
keinen Anwalt leisten können.

»Welche Mißtände auch bestehen und welche
Schandtaten immer begangen werden«, so »Cocoy«
mit resignativem Unterton, »Herr Tan mahnt, um Himmels willen
keine Kritik zu üben, da Jolo ohnehin schon keinen guten Ruf
genieße.«

Ein wesentlicher Grund, weshalb »Cocoy« vorerst nicht
nach Jolo zurückkehren kann, erklärt er, sei die Gefahr
eines Rido, einer bewaffneten Clanauseinandersetzung. Das
möchte er unter allen Umständen vermeiden,
schließlich sei er mit mehreren Mitgliedern der Familie Tan
befreundet.

Treibhaus der Gewalt

Mansur, mein Begleiter, kennt nicht nur »Cocoy« seit
langem. Er selber arbeitete Jahre für verschiedene NGOs in
Davao und Cotabato City auf Mindanao. Heute berät er NGOs in
der Hafenstadt Zamboanga und pendelt regelmäßig zwischen
dort und Jolo. Für ihn ist die Insel die am meisten
entwicklungsresistente Region des Landes. »Der Grund
ist«, sagt Mansur, »daß hier das Epizentrum des
heftigen Bürgerkriegs lag, der Anfang der 1970er Jahre im
Süden tobte.« Zu der Zeit nämlich war Jolo das
Hauptoperationsgebiet der muslimischen Widerstandsgruppen, die
ursprünglich den Kampf für einen unabhängigen
muslimischen Staat im Süden der Philippinen auf ihre Fahnen
geschrieben hatte. Jolo City wurde Anfang 1974 nahezu
vollständig in Schutt und Asche gelegt, tagelang beschossen
von Kriegsschiffen und aus der Luft. Menschen flohen scharenweise
ins benachbarte Malaysia, Familien wurden auseinandergerissen,
getötet oder vertrieben.

Gleichzeitig ist Jolo zusammen mit Mindanao die landesweit
höchstmilitarisierte Region. Regierungspräsenz zeigt sich
hier in erster Linie in Gestalt von Militär- und
Polizeieinheiten. Bildung und Ausbildung, medizinische
Fürsorge, Jobs und eine gesicherte Zukunft – das kann
sich nur leisten, wer über Geld und Zugang zu den
Politgrößen verfügt. »Hier zählt«,
erklärt Mansur, »einzig und allein
›malakas‹, das Prinzip des Starken und der
Stärke. Jeder Warlord, der Nähe zu einflußreichen
Parteien im fernen Manila signalisiert, gar auf deren Plattform als
Kandidat antritt, kann schalten und walten, wie er will.«
»Es mangelt nicht an Menschen, NGOs und Initiativen, die sich
für Frieden einsetzen«, so Manur, »was wir
brauchen, ist ein bereits in den Grundschulen fest verankerter
Lehrplan, der Menschen von Kindesbeinen an in einer Kultur des
Friedens und des respektvollen Umgangs miteinander aufwachsen
läßt.« Friedensverhandlungen zwischen Regierung
und Rebellenorganisationen sind dafür eine notwendige,
keineswegs aber hinreichende Bedingung.

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2011/04-16/004.php

 

(c) Junge Welt 2011