Artikel in der WOZ und TAZ: Mord im Morgengrauen

Im südphilippinischen Konzessionsgebiet der schweizerischen Bergbaufirma Xstrata nimmt die Repression zu, um den Widerstand gegen den offenen Tagebau zum Verstummen zu bringen.

VON MICHAEL RECKORDT UND RAINER WERNING
Juvy Capion und ihre beiden acht und dreizehn Jahre alten Söhne sassen in ihrer Hütte in der
Stadtgemeinde Kiblawan, als in den frühen Morgenstunden des 18. Oktobers Soldaten des
27. Infanteriebataillons die Behausung zehn Minuten lang unter Beschuss nahmen. Die Leichen
konnten kaum mehr identifiziert werden.
Juvys Ehemann, Daguil Capion, dem eigent lichen Ziel dieser militärischen Aktion,
gelang die Flucht. Er ist Vorsitzender der lokalen Gemeinschaft der B’laan. Diese indigene
Volksgruppe lebt seit Generationen in den abgelegenen südphilippinischen Provinzen Südcotabato
und Davao del Sur, wo das Massaker von Kiblawan geschah. Dort, auf dem Grund
und Boden der B’laan, möchte der schweizerische Bergbaukonzern Xstrata zusammen
mit seiner philippinischen Tochter Sagittarius Mines, Inc. (SMI) das in Südcotabato gelegene Tampakan-Kupfer-Gold-Projekt im offenen Tagebau betreiben. In ihrem offiziellen Geschäftslogo empfiehlt sich SMI als «Partner für eine
glanzvollere Zukunft».


Vor Ort wird der Widerstand gegen das
Projekt immer massiver. Erbittert befehden sich
die GegnerInnen und Befürworter des Projekts.
Im Juni 2010 hatten die AnwohnerInnen
mit Unterstützung der
katholischen Kirche der Diözese
Marbel die Provinzregierung
dazu gebracht, ein Verbot gegen
den offenen Tagebau in ihrer Region
zu beschliessen. Ein lokaler
Erlass mit weitreichenden Folgen.
Xstrata wurde im Januar 2012
eine Umweltverträglichkeitsbescheinigung
verweigert, da der
Konzern die Methode des offenen
Tagebaus als alternativlos
eingeschätzt hatte. Gleichzeitig
wurde Xstrata aufgefordert, sämtliche Arbeiten
am Projekt einzustellen. Dieser Aufforderung
widersetzen sich allerdings einige Subunternehmen,
die weiterhin Strassen bauen und eine
Umsiedlung von in der Region lebenden Familien
vor an trei ben.
Es ist nicht nur die Missachtung der Anweisungen
der Lokalbehörden, was die Menschen
erzürnt. Der beabsichtigte Abbau soll
ausgerechnet in einem Erdbebengebiet stattfinden,
wodurch Rückhaltebecken mit giftigem
Schlamm bersten könnten. Neben dieser realen
Gefahr regt sich auch Protest gegen geplante
Umsiedlungen: Für viele Indigene ist das Land
nicht nur ihr Geburtsort und Lebensmittelpunkt,
sondern auch ein Hort ihrer Ahnen mitsamt
religiösen Kultstätten.
Im Visier des Militärs
Sobald sich Konzerne wie Xstrata in einer bestimmten
Region niederlassen, dauert es nicht
lange, bis der Staat Sicherheitskräfte zu ihrem
Schutz dorthin sendet. Im Zuge zunehmender
Militarisierung kommt es immer wieder zu
Vertreibungen, Schikanen und anderen Menschenrechtsverletzungen.
Selbst Angestellte
des Bergbaukonzerns sowie Indigene, die den
Bergbau befürworten, wurden schon getötet.
Die Indigenen, unter ihnen Daguil Capion,
liessen sich trotz Einschüchterungen nicht
von ihrem Protest abhalten. Sie weigerten sich
wiederholt, ihr Land gegen eine Entschädigung
zu verlassen. Zudem warfen sie dem Unternehmen
vor, das Bergbaugesetz ignoriert zu haben.
Dieses sieht eine «freie, vorherige und in
Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung aller
Beteiligten» vor, die weder in der fraglichen
Region noch andernorts erteilt wurde.
Die Lage eskalierte in den vergangenen
zwei Jahren. Daguil Capion wusste sich offenbar
nicht mehr anders als mit Gewalt zu wehren.
In seinem Dorf waren zuvor Gräber durch
Baumassnahmen geschändet worden. Mehrfach
wurde seine Familie von Soldaten und
dem privaten Sicherheitsdienst des Bergbauunternehmens
schikaniert und eingeschüchtert.
Als Sicherheitskräfte seine Familie erneut
bedrohten, soll er zur Waffe gegriffen und drei
von ihnen erschossen haben. Das Militär jagte
ihn, doch der Flüchtige konnte im unwegsamen
Terrain untertauchen.
Oberstleutnant Alexis Noel Bravo, Kommandant
des 27. Infanteriebataillons, sagte laut
philippinischen Medienberichten in einem Radiointerview
am 18. Oktober, dass sie Hinweise
von einem Informanten erhalten hätten, wo
Capion sich versteckt halte. «Unsere Truppen
wurden beschossen, als wir uns seinem Aufenthaltsort
näherten. Also übten wir Vergeltung»,
wird Bravo in der südphilippinischen Zeitung
«MindaNews» vom 18. Oktober zitiert.
Kritik unerwünscht
Dem Militär wird vorgeworfen, stets Partei für die vor Ort tätigen Konzerne zu ergreifen. Der
ehemalige Uno-Sonderbeauftragte für aussergerichtliche Hinrichtungen, Philip Alston,
brachte schon 2008 Angehörige der Armee in Verbindung mit politisch motivierten Morden
an Umwelt- und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Priestern und anderen KritikerInnen.
Kritische Organisationen bezeichnen die in Manila protegierte Politik internationaler Konzerne
als «Entwicklungsaggression». Während der Amtszeit von Expräsidentin Gloria
Macapagal Arroyo (2001 bis 2010) sind laut
der philippinischen Menschenrechtsorganisation
Karapatan nahezu 1200 AktivistInnen
ermordet worden. In letzter Zeit häufen sich vor allem Morde an Bergbaugegner Innen.
Das deutsche Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen hatte bereits im März 2012 auf
die Gewalt in Tampakan um das Projekt von Xstrata reagiert und die philippinische Regierung aufgefordert, die Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs zu untersuchen. «Einer der Gründe für die fortlaufende Gewalt liegt darin», so das Netzwerk, «dass SMI/Xstrata und ihre Vertragspartner trotz einer Anordnung des Umweltministeriums vom 9. Januar 2012, alle Vorbereitungen zu stoppen, solange die Umweltverträglichkeitsgenehmigung aussteht, ihre Aktivitäten in der Region nicht eingestellt haben.»
Jaybee Garganera, Koordinator des philippinischen
Netzwerks Alyansa Tigil Mina (Allianz
gegen Bergbau), verurteilte die Erschiessung
der drei Capion-Familienmitglieder: «Dies
ist ein barbarischer, heimtückischer Akt des Militärs.
» Daguil Capion und seine Familie hätten
nie einer Rebellenbewegung angehört. Ihr Engagement
gelte einzig und allein «dem Schutz
des Landes ihrer Vorfahren. In diesem Fall geht
die grösste Bedrohung gegen das Recht von Indigenen
auf ihren Grund und Boden einzig vom
Tampakan-Bergbauprojekt der SMI aus.»
Derweil rechnen die Bürgermeister von
Kiblawan und Tampakan mit dem Schlimmsten.
Sie setzten ein Kopfgeld auf Daguil Capion
aus, da sie mit Vergeltung oder gar einem
Stammeskrieg gegen ihre Gemeinden rechnen.
300 000 Peso, umgerechnet etwa 6750 Franken,
haben sie auf seine Ergreifung ausgesetztŸ– tot
oder lebendig.

 

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Xstratas Philippinengeschäft
Xstrata ist einer der zehn grössten Bergbaukonzerne
der Welt und hat seinen Sitz im
schweizerischen Zug. Haupttätigkeitsgebiet
ist die Gewinnung von Kupfer, Kohle,
Nickel, Vanadium und Zink. Der Umsatz
betrug im Jahr 2011 über 33 Milliarden
US-Dollar. Kürzlich hat das Unternehmen
einer Fusion mit dem ebenfalls in Zug domizilierten
grösseren Konzern Glencore
zugestimmt, wodurch ein Rohstoffgigant
mit einem Börsenwert von 90 Milliarden
US-Dollar entstehen würde.
Umgerechnet 5,9 Milliarden US-Dollar will Sagittarius
Mines, Inc. (SMI), an der Xstrata
62,5 Prozent der Aktien und die Managementkontrolle
hält, in der Provinz Südcotabato
auf der philippinischen Insel Mindanao
investieren, um jährlich 375 000
Tonnen Kupfer und 360 000 Unzen Gold
zu fördern. Der Beginn dieses Projekts
musste wegen lokalen Widerstands um
zwei Jahre auf 2018 verschoben werden.

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http://www.jungewelt.de/2012/10-24/033.php