Protestkundgebung gegen Arbeitsplatzvernichtung in Heilbronn am Telefunkenpark

16.Oktober 2012

Die US-Konzernzentrale der Firma Atmel Automotive hat beschlossen, ihre Produktion vollständig von Heilbronn auf die Philippinnen zu verlagern, weite Bereiche der Verwaltung sollen im globalen Konzern verschwinden und 68 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Mit einem Federstrich wird über 68 Existenzen und Schicksale und die ihrer Familien entschieden, viele der Betroffenen sind Ende 50, andererseits verlieren viele Mütter mit Kindern Ihre Teilzeitstelle. Der Telefunkenpark war schon immer ein Frauenbetrieb, Zentrumsnah in Heilbronn gelegen, ist dieser Halbleiter-Industriestandort mit der Bevölkerung verwachsen. Inzwischen ist ein großer Teil der Produktions-Arbeitsplätze wegrationalisiert oder verlagert worden. Und wie überall entfallen meist Frauenarbeitsplätze zuerst.

Das können wir nicht einfach hinnehmen! „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns allen die Zukunft klaut!“ rief der Frauenverband Courage am 15.10.2012 zu einer Protestkundgebung auf mit Unterstützung der Montagsdemonstranten. Redebeiträge, Forderungen, persönliche Berichte und Kultur beleuchteten die Situation und beschallte auch die Büros der Geschäftsleitung. Ihnen mögen die Ohren geklingelt haben, als sie die Solidaritätserklärung der philippinischen Gewerkschafter hören mussten, die versprach, den Fall Atmel weltweit bekannt zu machen. Die Geschichte „Nadelproduktion“ brachte die Sache auf den Punkt und die etwa 30 Zuhörer zum Nachdenken. Wir müssen uns organisieren, wenn wir die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollen, die Arbeitslosigkeit als persönliches Schicksal im Zuge „unternehmerischer Freiheit“ zulässt. Es geht nicht nur um unsere Zukunft, sondern auch um die Zukunft unserer Kinder und ihrer Perspektiven! Jetzt sind wir gespannt, ob Kolleginnen zum nächsten Couragetreffen kommen.

info@fv-courage-hn.de

 

Gedicht zur Nadelproduktion:

 

Nehmen wir an,

dass gegenwärtig eine bestimmte anzahl von menschen

mit der herstellung von nadeln beschäftigt ist.

Sie machen so viele nadeln, wie die weltbevökerung braucht,

und arbeiten acht stunden täglich.

Nun wird eine erfindung gemacht, die es ermöglicht,

dass dieselbe zahl vom menschen

doppelt so viele nadeln herstellen kann.

Aber die menschheit braucht nicht doppelt so viele nadeln.

Sie sind bereits so billig,

dass kaum eine zusätzliche verkauft würde,

wenn sie noch billiger würden.

In einer vernünftigen welt würde jeder,

der mit der herstellung von nadeln beschäftigt ist,

jetzt eben vier statt acht stunden täglich arbeiten,

und alles ginge weiter wie zuvor.

Aber in unserer realen welt

wird so etwas als demoralisierend betrachtet.

Die nadelarbeiter arbeiten noch immer acht stunden,

es gibt zu viele nadeln.

Einige nadelfabrikanten machen bankrott,

und die hälfte der leute verliert ihren arbeitsplatz.

Es gibt jetzt, genau betrachtet,

genausoviel freizeit wie bei halber arbeitszeit;

denn jetzt hat die hälfte der leute

überhaupt nichts mehr zu tun,

und die andere hälfte überarbeitet sich.

Auf diese weise ist sichergestellt,

dass die unvermeidliche freizeit elend hervorruft,

statt dass sie eine quelle des wohlbefindens werden kann.

Können wir uns noch etwas irrsinnigeres vorstellen?

 

Bertrand Russell (1872 – 1970)