Junge Welt – Rainer Werning: Kommentar – Klingt gut – Friedensabkommen in den Philippinen
Tageszeitung junge Welt / Berlin
27.03.2014 / Ansichten / Seite 8
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Rainer Werning
Bei solch überbordender Friedensbeschwörung kann einem schwindelig
werden. Oder man hat Amnesie bereits als Versatzstück politischer
Progammatik akzeptiert. In der philippinischen Hauptstadt Manila wird heute wieder einmal ein Ereignis »historischer Tragweite« beschworen. Die Regierung unter Präsident Benigno Aquino trifft sich mit den Topkadern der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) zum endgültigen Friedensdeal. Das klingt gut und eröffnete, wenn er denn realisiert würde, tatsächlich eine verheißungsvolle Perspektive für die in dieser Region langjährig geschundene Zivilbevölkerung.
Der Moro- oder Mindanao-Konflikt ist der mittlerweile älteste in
Südostasien. Er ist das Produkt einer fatalen Verkettung von externem
Kolonialismus – Spanien und die USA hatten dort immerhin von 1571 bis
1946 uneingeschränkt das Sagen – und interner Kolonisierung. Statt
letzerem ließe sich auch von Siedlerkolonialismus sprechen. Die Konsequenz: Die Südphilippinen waren lange die Heimstätte indigener (animistischer) und muslimischer Volksgruppen. Bis die gnadenlos überlegene Feuerkraft US-amerikanischer Kolonialtruppen und danach gezielte Landumsiedlungsprogramme der Regierungen in Manila für reichlich sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zündstoff sorgten. Die von den Spaniern abschätzig »Moros« genannten Muslime wurden zunehmend zu Squattern in ihrem eigenen Land.
Bewaffneter Widerstand gegen die Politik des »imperialen Manila«
formierte sich erneut seit Ende der 1960er Jahre. Federführend war
damals die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF). Ihr Selbstverständnis:
Moros, nicht Filipinos. Ihr Ziel: eine unabhängigen Bangsamoro-Republik
mit Minsupala (den Inseln Mindanao, Sulu und Palawan) als Kernland. Die
Reaktion aus Manila: Militarisierung und Krieg. Bis kurz vor Weihnachten
1976 die Emissäre beider Seiten im libyschen Tripolis einen Friedensvertrag unterzeichneten. Darin erkannte die MNLF-Führung unter Nur Misuari die Oberhoheit Manilas an. Prompt wurde er der Kapitulation geziehen, und Freunde von einst etablierten im Gegenzug eben die MILF. Diese sah sich fortan im Aufwind. Erst recht, als Misuari Anfang September 1996 auch noch seine Unterschrift unter das umjubelte Endgültige Friedensabkommen setzte.
Heute fühlt sich Misuari übergangen und verraten. Seine Anhänger und die
Armee lieferten sich noch im September 2013 in der Hafenstadt Zamboanga
ein dreiwöchiges Gefecht. Und als selbst die MILF im Sommer 2008 einen
ähnlichen wie den nun vorliegenden Vertrag mit Manila ausgehandelt hatte, stoppte der Oberste Gerichtshof den Deal. Schlimmer noch: Erneut mußte die geschundene Zivilbevölkerung tiefer in Deckung gehen. Der Frieden schien ja zum Greifen nahe.
Der Autor verfolgt den Konflikt seit Mitte der 1970er Jahre
und gab u.a. das »Handbuch Philip