junge Welt – Rainer Welt – Selbstverliebter Pathos

Tageszeitung junge Welt / Berlin

30.07.2014 / Ausland / Seite 7

——————————————

 

Selbstverliebter Pathos

 

Philippinen: Präsident Benigno S. Aquino III hielt seine jährliche

Rede an die Nation

 

Rainer Werning

 

Es entspricht einem alljährlichen Ritual. Immer Ende Juli tritt der Präsident der Republik der Philippinen im Kongreßgebäude vor die Mikrophone. Dann listet er in einer auch in Radio und Fernsehen direkt übertragenen Rede zur Lage der Nation all jene Errungenschaften auf, für die seine Administration in den verflossenen zwölf Monaten verantwortlich zeichnete. Am vergangenen Montag war es das fünfte Mal, daß Benigno S. Aquino III als Staatschef diesen Auftritt zelebrierte – allerdings in einer gänzlich anderen Situation als in den Vorjahren. Ausufernde Korruptionsskandale, schlechtes Krisenmanagement bei Umweltkatastrophen, die beklagenswerte Lage der Menschenrechte,

stockende Friedensverhandlungen mit der Moro Islamischen Befreiungsfront

und das Aussetzen der Gespräche mit dem Linksbündnis Nationale Demokratische Front zur Beilegung der größten sozialen Konflikte – all diese von der Regierung nicht bewältigten Probleme haben zu einem rapiden Ansehensverlust des Präsidenten geführt.

Doch Aquino pries als besondere Errungenschaften, wieviele Stipendien

vergeben, wieviele Straßen- und andere Infrastrukturprojekte angestoßen

und welche besonderen Anreize dem lokalen und internationalen Busineß

eingeräumt wurden – Phrasen und Selbstherrlichkeit, umrahmt von

Familiengeschichten. »Ihr seid mein Boß«, erklärte Aquino pathetisch,

»und euch verdanke ich die Chance, daß ich zur Transformation unseres

Landes in führender Position beitragen kann. Würde ich euch enttäuschen,

bedeutete das die Preisgabe jenes Erbes, für das mein Vater und meine

Mutter zeit ihres Lebens kämpften und dafür Opfer brachten.« Damit

meinte er den unter der Marcos-Diktatur im August 1983 erschossenen

Exsenator Benigno Aquino und Corazon C. Aquino, die 1986 Nachfolgerin

von Marcos wurde.

 

Die Reaktionen auf diese Rede waren ein getreues Spiegelbild der

politischen und sozialen Realität. Die Protokollanten der Macht im

Präsidentenpalast Malacañang registrierten mit Genugtuung 85mal Applaus

und stehende Ovationen während der 91minütigen Präsidentenrede. Zugleich

demonstrierten jedoch allein in Manila, wo diesmal mit 10.000 Polizisten

ein Rekordaufgebot staatlicher Sicherheitskräfte im Einsatz war, gut

17.000 Menschen vor dem Kongreßgebäude gegen den Staatschef. Gegen diesen laufen derzeit nicht weniger als drei Amtsenthebungsverfahren – zwei

wegen der seit Jahrzehnten größten Korruptions- und Bestechungsskandale

und eines wegen eines Ende April ohne parlamentarische Kontrolle

durchgepeitschten neuen Verteidigungsabkommens mit den USA.

 

Vor allem der seit August 2013 innenpolitisch brisante »Pork Barrel Scam« erhitzt die Gemüter. »Pork Barrel« ist die populäre Bezeichnung für einen Sonderfonds, aus dem jährlich an jeden Kongreßabgeordneten und Senator Gelder in Höhe von 70 beziehungsweise 200 Millionen Peso (umgerechnet etwa 1,16 Millionen beziehungsweise 3,3 Millionen Euro) fließen, um damit im jeweiligen Wahlkreis Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Mindestens zehn Milliarden Peso landeten jedoch in den Taschen von Parlamentariern – drei Senatoren sitzen bereits hinter Gittern.

 

Vor kurzem wurde außerdem bekannt, daß auch der Präsident selbst über

einen Sonderfonds verfügt, mit dem er seine eigene politische Klientel

»pflegt«. Aquino und der zuständige Minister für Budget- und Managementfragen versuchten, ihren Kopf mit dem Argument aus der

Schlinge zu ziehen, die so verwendeten Gelder seien als Stimulus für gute Projekte und ihre zügige Umsetzung sinnvoll und rechtens gewesen. Das sah der Oberste Gerichtshof des Landes Anfang des Monats ganz  anders. Einstimmig befand er auch diesen Sonderfonds des Präsidenten für

verfassungswidrig. Bislang allerdings scherten sich Aquino und seine

Gefolgsleute inner- wie außerhalb der Liberalen Partei nicht darum. Sie

lassen es auf eine Konfrontation mit der Judikative ankommen – Ausgang

ungewiß. #