Junge Welt – Rainer Werning – Im Visier des Militärs
Tageszeitung junge Welt / Berlin
Gegründet 1947 – Donnerstag, 29. Oktober 2015, Nr. 251
Ausgabe vom 29.10.2015, Seite 6 / Ausland
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Im Visier des Militärs
Philippinen: Indigene protestieren gegen staatliche Unterdrückung
Von Rainer Werning
Studenten begrüßen protestierende Indigene am Montag in der philippinischen Hauptstadt Manila
Foto: AP Photo/Bullit Marquez
Demonstrationen und Kundgebungen prägen seit dem Wochenende das
Straßenbild in der philippinischen Hauptstadt Manila. Indigene aus allen
Teilen des Inselstaates protestieren für Gerechtigkeit und ein Ende von Mord, Vertreibung und andauernder Unterdrückung. Im Zentrum ihrer Kritik steht die Regierung von Präsident Benigno S. Aquino III., die vor den Wahlen im Mai 2016 derzeit eigentlich um Stimmen buhlen will.
Die meisten der mehr als 20.000 Indigenen, von denen einige nach tagelangen Fußmärschen im Rahmen der »Manilakbayan 2015« genannten Protestkarawane in der philippinischen Hauptstadt eintrafen, stammen von der südlichen Insel Mindanao.
Sie selbst nennen sich »Lumad« und umfassen insgesamt 17 weder islamisierte noch christianisierte Gruppen, die in vorkolonialer Zeit gemeinsam mit der muslimischen Bevölkerung, den Moros, den südlichen Teil der Philippinen besiedelten. Am Montag abend kamen allein auf dem Gelände der staatlichen Universität der
Philippinen in Diliman 700 Lumad zusammen, die ankündigten, dort bis zum
- November zu bleiben. Zahlreiche Jugend- und Studentengruppen sowie
Kirchengemeinden unterstützen und verpflegen die Gäste und organisieren
zahlreiche kulturelle und politische Veranstaltungen, auf denen die Anliegen der Lumad im Mittelpunkt stehen.
Unter allen indigenen Völkern des Landes mussten die Lumad den bislang
größten Blutzoll leisten. Sie hatten und haben das historische »Pech«, dass ihre Siedlungsgebiete zu dem gehören, was die Regierungen im fernen
Manila stets als Eldorado oder das »Land voller Verheißungen« gepriesen
hatten. Infolge der staatlich gelenkten Siedlerströme aus den nördlichen
und zentralen Landesteilen wurden die Lumad wie auch die Moros immer
mehr marginalisiert und zu Landlosen auf ihrem vormals eigenen Grund und
Boden gemacht. Da Mindanao, zunächst seit 1900 unter US-amerikanischer
Kolonialherrschaft und seit der Unabhängigkeit der Philippinen im Sommer
1946 auch von deren Regierungen, als ein an Bodenschätzen überaus
reiches Gebiet eingestuft und geschätzt wurde, war die systematische
Ausbeutung und Plünderung der Ressourcen lediglich eine Frage der Zeit.
In- wie ausländische Konzerne etablierten sich, und vor allem
multinationale Bergbaugesellschaften wollen die großen Zink-, Kupfer-
und Goldvorräte abbauen.
Da die Region nach der landesweiten Verhängung des Kriegsrechts unter
Diktator Ferdinand E. Marcos im September 1972 aber auch gleichzeitig zu
einem der Hauptoperationsgebiete des muslimischen Widerstands und der
kommunistischen Guerillabewegung avancierte, verwunderte es nicht, dass
Mindanao seitdem in die landesweit am meisten militarisierte Zone verwandelt wurde. Während eine endgültige Friedensregelung mit der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) aussteht, sind die Verhandlungen zwischen Manila und dem kommunistischen Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) einstweilen auf Eis gelegt. Die Neue Volksarmee (NPA), die Guerilla der NDFP beziehungsweise der Kommunistischen Partei der Philippinen, hat gerade in jenen Gebieten Zulauf, wo sich Widerstand gegen Abholzungen oder Tagebauprojekte formiert.
Seit Sommer dieses Jahres hat das Militär seine Aufstandsbekämpfungsstrategie »Operationsplan Nachbarschaftshilfe«
geändert und vor allem Schulen der Lumad ins Visier genommen. Diese
gelten den Militärs und den von ihnen ausgerüsteten Bürgerwehren als
»Brutstätten der Kommunisten«. Übergriffe häuften sich, allein im September wurden mehrere Lehrer, aber auch Umweltaktivisten, auf brutale Weise ermordet. Das Militär steht unter Erfolgszwang. Mit dem Ende der Amtszeit von Präsident Aquino Ende Juni 2016 soll die Aufstandsbekämpfung erfolgreich abgeschlossen sein. #