Junge Welt – Rainer Werning – Mit Dutertes Segen

Tageszeitung junge Welt / Berlin

Gegründet 1947 – Sa. / So., 23. / 24. September 2017, Nr. 222

Seite 6 / Ausland

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Mit Dutertes Segen

Oppositionsbündnis protestiert gegen philippinischen Präsidenten

Von Rainer Werning

Feuriger Widerstand: Der philippinische Präsident Duterte

stand im Mittelpunkt der Kritik am Donnerstag in Manila

Foto: Romeo Ranoco/Reuters

Am Donnerstag, dem 21. September, jährte sich in den Philippinen zum 45. Mal die landesweite Verhängung des Kriegsrechts durch den damaligen Präsidenten Ferdinand E. Marcos. Just an diesem Tag hatten die Organisatoren der erst Ende August gegründeten »Bewegung gegen Tyrannei« landesweit zu Großdemonstrationen gegen die Regierung des knapp 15 Monate amtierenden Präsidenten Rodrigo R. Duterte aufgerufen. Zehntausende waren dem Appell gefolgt. Auch in Manilas ausladendem Rizal-Park skandierten die meist schwarz gekleideten Menschen Parolen wie »Nie wieder Kriegsrecht!«, »Schluss mit Tötungen – Stopp der außergerichtlichen Hinrichtungen!« und »Nieder mit dem faschistischen US-Duterte-Regime!« Ihr Protest richtete sich gegen den desaströsen »Antidrogenkrieg« Dutertes mit bereits annähernd 13.000 Opfern, das seit dem 23. Mai für den gesamten Süden geltende Kriegsrecht und eine schleichende Faschisierung. Unweit des Präsidentenpalastes hatten sich Tausende Gegendemonstranten in vorwiegend grünen und organgefarbenen T-Shirts versammelt, um ihrem Idol »Digong« oder »Rody«, wie Duterte von seinen Anhängern genannt wird, zuzujubeln.

So politisiert und polarisierend wie dieses Mal war der 21. September schon seit langem nicht mehr. Früher erinnerten meist Altaktivisten und Hinterbliebene von Marcos-Opfern an die politisch bleierne Ära von der Verhängung des Kriegsrechts im September 1972 bis zu dessen Aufhebung im Januar 1981. Sie konnten sich schwerlich vorstellen, dass neuerlich ein solcher Ausnahmezustand – wenngleich auf den südlichen Landesteil beschränkt und bis zum 31. Dezember gültig – ausgerufen werden könnte. Ausgerechnet von einem Präsidenten, der erstmalig aus dem Süden stammt und während seines Wahlkampfs nicht müde wurde, sich als »Linker« und erstes »sozialistisches« Staatsoberhaupt der Republik zu empfehlen.

Dutertes Versprechen waren: den illegalen Drogenhandel durch einen entschlossenen Feldzug in drei bis sechs Monaten auszurotten, null Toleranz mit Blick auf Bestechung und Korruption zu üben, gesicherte Arbeitsverhältnisse zu garantieren, die Steuerlasten zu senken bei gleichzeitiger Verbesserung sozialer Dienste für die Armen, landlose Bauern in ihrem Kampf gegen die grundbesitzende Oligarchie zu verteidigen und Umweltschäden durch große Minenkonzerne einzudämmen.

Große Teile der revolutionären und progressiven Kräfte entschieden sich dafür, Duterte eine Chance zu geben. Doch spätestens seit vier Monaten ist diese vertan. Am 23. Mai verkündete Duterte mit der Begründung das Kriegsrecht über den Süden, dschihadistische Gruppen hätten sich in der Stadt Marawi verschanzt, 200.000 Einwohnern mussten fliehen. Die fast zeitgleich anberaumte fünfte Verhandlungsrunde mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) platzte, weil die Regierung auf einmal darauf bestand, dass die NDFP entgegen vorheriger Abmachungen noch vor der Unterzeichnung des »Umfassenden Abkommens über sozioökonomische Reformen« einem unbefristeten beidseitigen Waffenstillstand zustimmt.

Duterte rückte auch von seinem Versprechen ab, alle politischen Gefangenen zu amnestieren. Statt dessen kündigte er an, nach der Rückeroberung von Marawi unerbittlich gegen die »Kommunisten« vorzugehen. Verstärkt sind in vergangener Zeit Schulen und selbstverwaltete Bildungseinrichtungen von Indigenen im Süden angegriffen und von der Nationalpolizei (PNP) und Armee unter Beschuss genommen worden.

Noch um die Jahreswende hatte der Präsident die PNP nach Untersuchungen der staatlichen Menschenrechtskommission (CHR) und des Ombudsmanns als »bis aufs Mark verrottet« bezeichnet. Heute allerdings hofiert Duterte ungeniert die staatlichen Sicherheitskräfte und spannt sie ein in seinen erklärten »Krieg gegen Drogen« und den »Kampf gegen den Terrorismus«. Da die CHR die Methoden im Rahmen dieser Feldzüge kritisierte, stimmten in der vergangenen Woche im vom Duterte-Lager mit großer Mehrheit kontrollierten Repräsentantenhaus 119 Abgeordnete, bei 32 Neinstimmen, für ein CHR-Gesamtbudget in Höhe von 1.000 Peso (rund 18 Euro) für das Haushaltsjahr 2018!

Diese Abstimmung löste einen Sturm der Entrüstung aus. So sah Duterte sich gezwungen, mit Blick auf die angekündigten Demonstrationen am 21. September zurückzurudern. Per Proklamation 319 erklärte er den Donnerstag kurzerhand zum »Nationalen Tag des Protests« und mimte, obwohl eingefleischter Marcos-Verehrer und Busenfreund der Marcos-Familie, zumindest einen Tag lang Verständnis für das politische Engagement seiner Feinde und Gegner. #