Junge Welt – Rainer Werning – Goodbye, America?

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

Gegründet 1947 – Montag, 24. Oktober 2016, Nr. 248

Ausgabe vom 24.10.2016, Seite 7 / Ausland

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 Der philippinische Präsident Duterte will das enge Bündnis mit Washington revidieren

 Von Rainer Werning

 Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte und Zhang Dejiang, Vorsitzender des Nationalen Vokskongresses Chinas, am Donnerstag in Beijing  /  Foto: POOL New/Reuters

 

Wie kein philippinischer Präsident vor ihm hat der seit Ende Juni amtierende Rodrigo R. Duterte die Karten in der Außenpolitik seines Landes neu gemischt. Was die Menschenrechtslage betrifft, so ist die Situation verheerend. Bis heute sind annähernd 4.000 Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen im von Duterte erklärten »Krieg gegen die Drogen« zu beklagen. Innenpolitisch gedenkt er, das Land von einem präsidialen in ein föderales System umzuwandeln, um so unter anderem den langjährigen Konflikt mit unterschiedlichen Widerstandsorganisationen der muslimischen Bevölkerung (Moros) zu deeskalieren. Zudem fand Anfang dieses Monats in der norwegischen Hauptstadt Oslo bereits die zweite Verhandlungsrunde im Friedensprozess mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) statt. Bündnispolitisch wagt der Präsident unterdessen einen Tabubruch – so hat er erklärt, das Verhältnis zur einstigen Kolonialmacht USA gänzlich neu bestimmen zu wollen.

 

Ausgerechnet in der Volksrepublik China verkündete der philippinische Präsident anlässlich seines viertägigen Staatsbesuchs in der vergangenen Woche die Abkehr seines Landes von Washington. »Ich verkünde meine Trennung von den USA in zweierlei Hinsicht – was die militärischen und ökonomischen, nicht die sozialen Belange betrifft«, sagte Duterte am 20. Oktober unter großem Applaus auf einem hochkarätig von chinesischen und philippinischen Geschäftsleuten besetzten Wirtschaftsforum in Beijing. Zuvor war er vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit militärischen Ehren empfangen worden. Außerdem nahm der Gast aus Manila

gemeinsam mit Xi an der Unterzeichnung von 13 bilateralen Verträgen über eine enge Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und Landwirtschaft teil. Umgerechnet neun Milliarden US-Dollar erhält Manila an günstigen Darlehen von der chinesischen Regierung und chinesischen Privatbanken. Schließlich gelang es, Kontroversen über Territorialansprüche im Südchinesischen Meer außen vor zu lassen beziehungsweise deren Klärung zu vertagen.

 

Eine für beide Seiten vorteilhafte Situation: Finanzminister Carlos Dominguez und Handelsminister Ramon Lopez freuten sich über die Unterzeichnung von philippinisch-chinesischen Handelsverträgen mit einem Volumen von umgerechnet 13,5 Milliarden US-Dollar. Unterhändler lobten die außerordentlich herzliche Atmosphäre des Staatsbesuchs und die länger als ursprünglich geplant dauernden direkten Gespräche zwischen beiden Präsidenten, während Chinas stellvertretender Außenminister Liu Zhenmin konstatierte: »Dieser Besuch hat dazu beigetragen, die bilateralen Beziehungen vollauf zu normalisieren, zum Dialog zurückzukehren und maritime Angelegenheiten durch Konsultationen zu

regeln.« Im Jahre 2012 hatte China unter anderen die von den Philippinen

beanspruchte Scarborough-Riff-Fischereizone für sich reklamiert und auf diese Weise für reichlich politischen Unmut in Manila gesorgt.

 

Eigentlicher Verlierer der neuen philippinisch-chinesischen Annäherung, die Duterte gern mit einer Vertiefung der Beziehungen zu Russland verbinden würde, ist Washington. Präsident Barack Obama setzte in seiner auf Asien zentrierten Politik (»Pivot to Asia«) gerade auf die Philippinen als einen wichtigen Stützpfeiler. Als Amerikas einstige Kolonie in Südostasien war Manila stets Washingtons engster Verbündeter. William Howard Taft, von 1901 bis 1904 erster ziviler

US-Generalgouverneur in dem Inselstaat und später 27. Präsident der Vereinigten Staaten (1909–13), hatte die Filipinos »unsere kleinen braunen Brüder« genannt und so einen rassistischen Paternalismus begründet. Dieser ging soweit, dass die Philippinen ausgerechnet am 4. Juli (dem US-amerikanischen Unabhängigkeitsfeiertag) 1946 in die Unabhängigkeit entlassen wurden. So sehr Dutertes neue Politik die traditionell US-hörigen Eliten verunsichert, so hilfreich dürfte der entfachte Disput dabei sein, der noch immer in den Seelen vieler seiner

Landsleute verankerten feudalen Hörigkeit entgegenzuwirken.  #