Junge Welt – Rainer Werning – Großbritanniens Niederlage

Tageszeitung junge Welt / Berlin
Gegründet 1947 – Sa. / So., 11. / 12. Februar 2017, Nr. 35
Ausgabe vom 11.02.2017, Seite 15 / Geschichte

Großbritanniens Niederlage
Vor 75 Jahren eroberte Japan die als »uneinnehmbare Militärfestung« geltende Hafenstadt Singapur und errichtete ein brutales Herrschaftssystem

Von Rainer Werning

Angehörige des Infanterieregiments »Suffolk« werden von japanischen Soldaten gefangengenommen
Foto: Wikipedia/gemeinfrei


 

Wer später dann die Zeit der korrupten Britischen Militäradministration unmittelbar nach der Kapitulation Japans sowie die bittere Armut noch Jahre nach den japanischen Grausamkeiten miterlebte, wer dann auch noch die Inkompetenz und Ineffizienz dieser Verwaltung in den malaiischen
Dörfern und Städten auf Schritt und Tritt erleiden musste, der sollte nicht anmaßend sein und behaupten, man hätte lieber einen kühlen Kopf bewahren und einen anderen Weg einschlagen sollen. Ich konnte keinerlei Kompromiss mit den Japanern schließen. Ebensowenig hätte ich mich jemals
mit einem System arrangieren und für dieses arbeiten können, das einzig auf die Kontinuität des britischen Kolonialismus setzte.
Chin Peng: My Side of History, Singapur 2003, S. 510 f. – Übersetzung: Rainer Werning
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»Entscheidend war, dass die Japaner die Briten mit ihrem plötzlichen Angriff völlig überraschten. Sie hatten Großbritannien nicht den Krieg erklärt und waren innerhalb nur einer Woche über Thailand und den Norden Malayas vorgestoßen. Als es ihnen gelang, zwei der wichtigsten britischen Kriegsschiffe in Singapur zu versenken, die ›Prince of Wales‹ und die ›Repulse‹, waren die britischen Truppen in Singapur völlig demoralisiert. Denn auf Unterstützung ihrer Luftwaffe konnten sie nicht bauen«, schrieb der renommierte Historiker Cheah Boon Kheng.

Die Stadt Singapur liegt an der Südspitze der malaiischen Halbinsel. Sie galt bis zum Zweiten Weltkrieg als »Gibraltar des Ostens« und »uneinnehmbare Militärfestung« der Kolonialmacht Großbritannien. Doch vermochten die Japaner Singapur bereits Mitte Februar 1942 im Handstreich einzunehmen. Die Briten hatten die Stadt vor allem gegen Angriffe vom Meer befestigt. Doch als die Franzosen Indochina (heute: Laos, Kambodscha und Vietnam) kampflos an Japan abtraten und das angrenzende Thailand, um seine Unabhängigkeit zu wahren, den japanischen Truppen freien Durchzug gewährte, stand den Japanern plötzlich der
Landweg offen: von China und Korea im Norden Asiens bis nach Malaya und
Singapur Tausende Kilometer südlich davon.

Scheiternde Kolonialmacht

»Dass die mächtigen Briten die malaiische Halbinsel nicht halten konnten«, konstatierte Cheah Boon Kheng, »hat das Bild, das die Leute von ihnen hatten, grundlegend verändert. Die Menschen waren zutiefst schockiert, insbesondere die chinesische Bevölkerung. Denn auch zu ihr war durchgedrungen, wie die Japaner im Norden Chinas gewütet und welches Massaker sie in Nanjing (1937/38; R. W.) verübt hatten. Die Chinesen hatten deshalb große Angst. Und weil sie nicht in die britische Armee aufgenommen wurden, organisierten sie mit Beginn der japanischen Invasion in Malaya ihre eigenen Widerstandsgruppen.«

Was die britischen Kolonialherren bis zu Beginn der japanischen Offensive »Malaya« nannten, bestand aus drei politischen Verwaltungs- und geographischen Einheiten: den sogenannten Straits Settlements (mit Singapur, Malakka und Penang) sowie den föderierten und nichtföderierten malaiischen Staaten. Neben der militärstrategischen Bedeutung Singapurs in der Region Südost- und Ostasien waren es vor allem Rohstoffe wie Kautschuk, Zinn, Bauxit und Eisenerze, die die Kolonialmacht in großem Stil von Hunderttausenden angeheuerter chinesischer und indischer Arbeitskräfte abbauen ließ. Bereits die Volkszählung von 1921 hatte
gezeigt, dass die Malaien in Malaya zu einer Minderheit geworden waren. Diesem Zensus zufolge lebten damals 1,62 Millionen Malaien (48,8 Prozent der Gesamtbevölkerung), 1,17 Millionen Chinesen (35,2 Prozent) und 471.514 Inder (14,2 Prozent) in Malaya.

Die japanische Malaiische Militäradministration (MMA), die nach dem Sieg über die Briten mehr als dreieinhalb Jahre in Malaya regierte, erwies sich als weitaus brutaler als die britische Herrschaft. Die gesamte Gesellschaft hatte sich wirtschaftlich, politisch und sozial den Zwängen der japanischen Kriegsmaschinerie unterzuordnen. Die vorhandenen Rohstoffe sowie Reis sollten jetzt noch schneller und in noch größeren Mengen abgebaut beziehungsweise geerntet werden, da Malaya im Kalkül des japanischen Militärs lediglich als Lieferant für das »Mutterland« galt. Sämtliche Schichten der malaiischen Gesellschaft wurden politisiert, teils in paramilitärische Bürgerwehren gepresst oder gezwungen, dem
japanischen Kaiser als Romusha (Zwangsarbeiter) inner- wie außerhalb des Landes zu dienen. Erklärtes Ziel der MMA war es, die Bevölkerung streng im Sinne des »Nippon seishin« (japanischen Geistes) durch hartes körperliches und geistiges Training sowie durch »Nippongo« (die japanische Sprache) zu erziehen.

Organisierter Widerstand

Während indische und malaiische Organisationen und Verbände relativ spät zum Widerstand gegen die Besatzer übergingen, bildeten die Chinesen direkt beim Einmarsch der Japaner die mit Abstand größte und bedeutendste militärische Gegenkraft. Keine andere ethnolinguistische Gruppe im damaligen Malaya verfügte über eine dermaßen starke Untergrundarmee wie die unter Führung der Kommunistischen Partei Malayas (CPM) bereits im Januar 1942 gegründete Malaiische Antijapanische Volksarmee (MPAJA). Auf ihrem Höhepunkt zählte sie zwischen 7.000 und 8.000 aktive Kämpfer und genoss großen Rückhalt in der Bevölkerung.

Chin Peng (1924–2013) war gerade mal 15 Jahre alt, als er in den politischen Untergrund ging und sich der Kommunistischen Partei in Perak, die Teil der CPM war, anschloss. Bevor er zu deren Generalsekretär avancierte, diente er während der japanischen Besatzung in der militärischen Führung der MPAJA. Wegen der herausragenden Stellung und des organisatorischen Geschicks der MPAJA und der CPM im antijapanischen Widerstand griff das britische Kommando des auf Ceylon
(heute Sri Lanka) stationierten Südostasienkommandos (SEAC) unter Admiral Lord Louis Mountbatten auch auf deren Mitglieder als Informanten und Verbindungsoffiziere zurück. Mit den Briten entstand während dieser Zeit eine Zweckgemeinschaft auf Gegenseitigkeit in Gestalt der »Force 136«, einer Spezialeinheit, welche die Kontakte zwischen Ceylon und Malaya wahrte.

Nach dem Krieg war die CPM nicht gewillt, die japanische Besatzung erneut gegen das alte britische Kolonialjoch einzutauschen. Doch die Briten hielten unbeirrt an ihrem Plan der Rückeroberung Malayas fest. Militärische Konflikte waren mithin programmiert. Es begann ein zwölfjähriger Auszehrungskrieg (1948–1960), den die Briten beschönigend »State of emergency«, die Phase des Notstands, nannten. Chin Peng, der gegen Kriegsende für seine Verdienste im Kampf gegen die Japaner noch den »Orden des Britischen Empire« erhalten hatte, war binnen weniger
Monate zum meistgesuchten »Communist terrorist« der alten und neuen
Kolonialherren geworden. #