Rainer Werning – Nordkorea: Trumps Gedächtnislücken

Nordkorea/USA: Einzig die Wiederaufnahme eines direkten politisch-diplomatischen Dialogs führt aus der aktuellen Sackgasse von

Provokationen und Konter-Provokationen

Von Rainer Werning

Der Koreakrieg (1950-53), der erste «heiße» militärische Konflikt im Kalten Krieg, wirkt fort in der Teilung des Landes. Über zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der West-Ost-Blockkonfrontation durchzieht die Halbinsel noch immer eine etwa 240 Kilometer lange und zirka vier Kilometer breite «demilitarisierte Zone». Ein Euphemismus und Anachronismus ohnegleichen; es ist dies die weltweit bestbewachte, höchstmilitarisierte und konfliktträchtigste Region – ohne Besucheraustausch, ohne gegenseitige Post-, Telefon- und Verkehrsverbindungen. Dort stehen sich diesseits und jenseits des 38. Breitengrads waffenstarrend über eine Million Soldaten gegenüber, inklusive etwa 27.500 im Süden stationierter US-amerikanischer GIs. Bis heute existiert lediglich ein Waffenstillstandsabkommen (1), das zwar den Koreakrieg beendete, aber noch immer nicht in einen Friedensvertrag überführt wurde.

Wie dringend ein solcher Vertrag wäre, wurde einmal mehr in den vergangenen Wochen deutlich. US-Präsident Donald Trump reagierte auf die «Provokationen» und «Drohungen» der nordkoreanischen Führung mit einer Flut harscher Worte und Tweets. Am 8. August drohte er Pjöngjang mit

«Feuer und Zorn, wie es die Welt noch nicht gesehen hat». Der chinesischen Regierung, die er für nicht entschlossen genug und lasch hält, drohte der Präsident am 3. September mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen mit dem Argument: «Wer mit Nordkorea Geschäfte macht, kann keine mit uns machen» Dann diente Trump am 19. September ausgerechnet die diesjährige Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) als Tribüne, um von dort aus dem «Rakentenmann Kim Jong-Un in Pjöngjang und Nordkorea mit der völligen Vernichtung» zu drohen, sollte das Land seine Atompolitik nicht einstellen. Ein in den UN-Annalen einmaliges Ereignis, wo der mächtigste Politiker der »freien Welt» ungestraft zu Mord und Zerstörung aufruft. Und noch verstörender war es, dass nicht scharenweise Delegationen aus Protest gegen einen solch ungeheuerlichen Auftritt den Versammlungssaal verließen.

Nicht genug: Über das erste Oktoberwoche zieh Trump den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-In einer

«Appeasement»-Politik gegenüber Pjöngjang, die gänzlich untauglich sei. «’Präsident Moon Jae-In hat auf dem Fahrersitz Platz genommen, allerdings

sitzt er im falschen Auto’, sagt Park Sun-Song, Professor am Institut

für Nordkorea-Studien an der Dongguk-Universität von Seoul. Der

Präsident solle lieber Druck auf Washington ausüben, um die USA von

ihrem Alles-oder-nichts-Kurs abzubringen, meint Park. Denn Nordkoreas

Diktator werde auf gar keinen Fall einfach aufgeben. Es sei unmöglich,

einen Konflikt friedlich zu lösen, wenn man dessen Ursprung nicht verstehe«. (2) Und seinem eigenen Außenminister Rex Tillerson bescheinigte Trump, seine Zeit damit zu vergeuden, mit dem Regime in Pjöngjang zu verhandeln. Doch genau das, eine neuerliche Runde diplomatisch-politischer Konfliktdeeskalation, ist dringlicher denn je. Und vor allem: Es gibt da recht ansehnliche Ergebnisse, würde man sich nur ihrer erinnern. Von daher muss Donald Trump in jenem Moment unter Totalamnesie gelitten haben, als er ebenfalls zum Monatsbeginn erklärte, ein «viertel Jahrhundert von Verhandlungen hat zu nichts geführt«.

Erster Atomkonflikt

Bereits im Sommer 1994 hatte es zeitweilig den Anschein, als stünde die koreanische Halbinsel an der Schwelle eines neuerlichen militärischen Konflikts. In den Städten Südkoreas heulten in gewohnt regelmäßigen Abständen Alarmsirenen auf und wurden vermehrt Luftschutzübungen durchgeführt. In einigen Vierteln der Metropole Seoul kam es zu

Hamsterkäufen – vor allem bei Instant-Nudelgerichten. Kommentatoren großer US-amerikanischer Tageszeitungen beschworen die Gefahr des «nuklearen Gangsters» Pjöngjang herauf, während die Endlosbilder von CNN das innenpolitische Klima aufheizten und allerorten Verunsicherung schürten.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt dieser prekären Situation zeichnete sich

paradox wie Vieles auf der koreanischen Halbinsel – eine Entspannung

mit weitreichenden Folgen ab. Erstmalig seit dem Koreakrieg waren die Protokollchefs in Seoul und Pjöngjang – teils eingefädelt vom US-amerikanischen Expräsidenten Jimmy Carter – damit befasst, ein

gemeinsames Treffen der damaligen Präsidenten Kim Young-Sam und Kim Il-Sung (Großvater von Kim Jong-Un) vorzubereiten. Der dreijährige Krieg hatte ein Ausmass an Zerstörung angerichtet, das US-Luftwaffengeneräle in Korea keine Angriffsziele mehr ausmachen konnten. Für Carter J. Eckert, Direktor des Harvard Center for Korean Studies, war die seitdem traumatisch nachwirkende «permanente Belagerungsmentalität» der Nordkoreaner verständlich: «Praktisch die gesamte Bevölkerung», so Eckert in einem Anfang Februar 1996 in Seoul gehaltenen Vortrag über die Perspektiven des koreanischen Vereinigungsprozesses, «lebte und arbeitete drei Jahre lang in künstlich angelegten unterirdischen Bunkern, um den ständigen Angriffen der US-Bomber zu entgehen, von denen jeder – aus Sicht der Nordkoreaner – ein Atombombe tragen konnte.»

Tod und geregelte Nachfolge

Inmitten der Vorbereitungen des ersten Gipfeltreffens beider koreanischen Staatschefs starb Mitte Juli 1994 plötzlich der «Große Führer» Kim Il-Sung. Hochdotierte Analysten diverser Denkfabriken, von der Londoner Economist Intelligence Unit bis hin zu Experten im Washingtoner State Department, wähnten Nordkorea bereits als Hort ebenso erbitterter wie unkalkulierbarer Diadochenkämpfe und prophezeiten dem Land eine rasche Implosion wie im Falle der Sowjetunion und Osteuropas. (3) Nichts dergleichen geschah. Stattdessen demonstrierte Pjöngjang aufs Neue, dass Totgesagte länger leben.

Die politische Kontinuität der jetzt um Kim Jong-Il, den Sohn des früheren Staats- und Parteichefs, gruppierten Führungsschicht, in der die militärische und zivile Machtbalance zwischen alten Partisanen, im Ausland geschulten Kadern und autochthonen – im Lande selbst und dort vorrangig an der Kim-Il-Sung-Universität ausgebildeten – Führungskräften austariert blieb, bewahrte das nordkoreanische Regime nicht nur vor einer Implosion, sondern stärkte es gar. Erstmals seit dem Tod Kim Il-Sungs (Juli 1994) trat Anfang September 1998 das wenige Wochen zuvor neugewählte Parlament – die aus 687 Abgeordneten gebildete Oberste Volksversammlung (OVV) – zusammen, beendete damit Spekulationen über ein lähmendes Machtgerangel und einen innenpolitischen Stillstand und stellte schließlich mit der Verabschiedung wegweisender Beschlüsse die Weichen für den Aufbau des für die Kim-Jong-Il-Ära propagierten «starken und gedeihenden Staates» (kangsòng taeguk). Nach dreijähriger Trauerphase über den Tod seines Vaters war das Regime stabil wie eh und je.

«Schurkenstaat» und Rahmenabkommen

Die zur Entschärfung der sogenannten Atomkrise letztlich am 21. Oktober 1994 in Genf von den USA und Nordkorea getroffene Rahmenvereinbarung (Agreed Framework) über den Stopp des nordkoreanischen Nuklearprogramms in Yongbyon sah im Gegenzug die Lieferung von zwei 1.000 Megawatt-Leichtwasserreaktoren bis zum Jahr 2003 vor. Bis zu deren

Inbetriebnahme hatten sich die USA verpflichtet, an Pjöngjang jährlich

500.000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von umgerechnet knapp 4,6 Mrd. US-Dollar zu liefern. Vereinbart wurde überdies die Einrichtung von Liaison-Büros in den jeweiligen Hauptstädten und die gemeinsame Suche nach den Überresten der im Koreakrieg gefallenen amerikanischen Soldaten. Aus Pjöngjanger Sicht war es von besonderer Bedeutung, qua einem Zusatzprotokoll Sicherheitsgarantien seitens Washingtons bekommen zu haben. Mit der Umsetzung der technischen und finanziellen Hilfslieferung wurde ein Jahr später (1995) das eigens zu diesem Zweck gegründete Nuklearkonsortium Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) betraut. Diesem gehörten ursprünglich die drei Gründungsmitglieder USA, Japan und Südkorea an, das als Hauptfinanzier fungieren sollte. (4) Zwischenzeitlich unterstützte u.a. auch Euratom die KEDO qua Assoziierungsabkommen mit 75 Millionen Euro.

Eingebettet war dieser Deal in die Aufnahme von Vierergesprächen

zwischen den USA, der VR China sowie Nord- und Südkoreas – ein mühsamer Prozess, der mehrfach aufgrund spektakulärer Aktionen Pjöngjangs – beispielsweise durch das Stranden eines nordkoreanischen U-Bootes Mitte September 1996 an der südkoreanischen Küste und die darauffolgende Suche nach den 26 Besatzungsmitgliedern sowie der erfolgreiche Abschuss einer nordkoreanischen Rakete vom Typ Taepo Dong 1 über japanisches Territorium Ende August 1998 – unterbrochen wurde und Rückschläge erfuhr.

Nordkorea erhoffte sich Mitte der 1990er Jahre dringend Hilfe für die infolge verheerender Naturkatastrophen von Hungersnot geplagte Bevölkerung – eine wirtschaftlich prekäre Situation, die erschwert wurde durch notorisch unausgelastete, überdies veraltete Produktionsanlagen, technologische Defizite in zahlreichen industriellen Sektoren sowie die Umstellung des Handels auf Devisenbasis mit den beiden wichtigsten Partnern und Energielieferanten Russland und der VR China. Die Krise der Volksrepublik war zu der Zeit im Wesentlichen ökonomischer, keineswegs politischer und/oder ideologischer Natur. Die Dschutsche-Variante eines Autarkiekonzepts blieb trotz angespannter Wirtschaftslage und anhaltender Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung von Erschütterungen verschont.

Der Perry-Report

Wenngleich die Clinton-Administration in unregelmäßigen Abständen an

dem Vorwurf des «Schurkenstaats» festhielt, versuchte sie dennoch seit

Ende 1994 hinter den Kulissen, einen Modus vivendi mit Pjöngjang zu

finden und mittels diskreter politisch-diplomatischer Avancen das US-amerikanisch-nordkoreanische Verhältnis zu normalisieren. Ein Prozess, der in dem Maße an Konturen gewann, wie Seoul seit dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998 auf eine «Sonnenscheinpolitik» gegenüber Pjöngjang setzte. Seoul war zu der Zeit mitnichten ein Befürworter der «Schurkenstaat»-Theorie. Aus pragmatischen und finanziellen Erwägungen: Seitdem nämlich klar war, welch exorbitante Kosten dem Land aufgebürdet würden, verfolgte es eine (Wieder-)Vereinigungspolitik analog dem deutschen Beispiel, zerstob die frühere Euphorie der politischen Eliten in Seoul, man werde sich aufgrund der haushohen wirtschaftlichen Überlegenheit früher oder später den Norden einverleiben können.

William J. Perry, von 1994 bis 1997 US-Verteidigungsminister

und einer der Architekten des Agreed Framework, wurde im Rahmen einer

intensiven Ostasien-Shuttle-Diplomatie damit betraut, Präsident Bill

Clinton Richtlinien künftiger US-amerikanischer Nordkoreapolitik zu

präsentieren. Am 12. Oktober 1999 veröffentlichte Perry seinen Bericht und kam darin zu dem Ergebnis, dass das Agreed Framework unbedingt Bestand

haben müsse, wenngleich kooperative und konfrontative Elemente fortan

stärker aufeinander abgestimmt sein sollten. (5) Die Bedeutung des

Perry-Reports lag darin, dass er auf der Grundlage intensiver, für

sämtliche Protagonisten in der Region Gesicht wahrender Gespräche

verfasst wurde, die ursprünglich angenommene Prämisse eines kurz- bis

mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas revidierte, Kim Dae-Jungs

«Sonnenschein-» beziehungsweise Nordpolitik ausdrücklich befürwortete und das seit dem Koreakrieg wichtigste US-amerikanische Entspannungssignal aussandte. Perry selbst zeigte sich überzeugt, dass das Jahr 1999 die Perspektive einer gedeihlichen Zusammenarbeit eröffnet habe.

Konkretes Ergebnis dieses Berichts war ein für beide Seiten zeitweilig immerhin vorteilhaftes Arrangement; erklärte sich Nordkorea zum Verzicht weiterer Raketentests bereit, lockerte Washington im Gegenzug einige seiner Wirtschaftssanktionen und setzte sich für die Fortführung und Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik ein. Der an der Universität Chicago lehrende Historiker und Koreaexperte Bruce Cumings merkte dazu in einem Aufsatz an: „Die sechsmonatige Arbeit (Perrys und seiner Kollegen – R.W.) schloss mit der Empfehlung, die Verhandlungen mit Pjöngjang zu intensivieren. Der Neuansatz mündete in ein vorläufiges Abkommen über die nordkoreanischen Raketen, das den Vereinigten Staaten wie der gesamten asiatisch-pazifischen Region große Vorteile brachte. Damals schien Nordkorea bereit, die Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen – in der Atompolitik und bei den ballistischen Raketen – schien man einer Vereinbarung näher zu kommen.“ (6)

Historischer Gipfel in Pjöngjang

Am 13. Juni 2000 gar genoss Nordkoreas politische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den wahrlich geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il – offiziell zwar noch im Kriegszustand – Freundlichkeiten per Handschlag austauschten, über Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen redeten sowie regelmäßige Treffen der

Verteidigungsminister und schließlich die gemeinsame Teilnahme ihrer

Sportteams an den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in Sydney

vereinbarten. Ein veritabler Durchbruch, der mitausschlaggebend war,

Südkoreas einst prominentesten politischen Gefangenen und Staatsfeind

Nummer Eins für seine seit Frühjahr 1998 vis-à-vis dem Norden praktizierte «Sonnenscheinpolitik» im Dezember 2000 mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen.

Dergestalt in seiner Politik bestärkt, suchte Pjöngjang gleichzeitig die

außenpolitische Offensive und bat in diplomatischen Noten mehrere

westeuropäische Regierungen um die Aufnahme voller diplomatischer

Beziehungen mit Nordkorea. Italien und Kanada reagierten bereits Anfang

2000 positiv, während Berlin, London, Madrid und Brüssel noch im selben

Jahr solche Beziehungen als flankierende Massnahme des seit Sommer in

Schwung geratenen innerkoreanischen Entspannungsprozess binnen weniger Monate in Aussicht stellten und dies ausdrücklich auf dem dritten, vom Thema Nordkorea beherrschten Europa-Asien-Gipfels (ASEM) der Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Länder und zehn Staaten Ost- und Südostasiens in Seoul Mitte Oktober 2000 bekräftigten. In Peking und Seoul wurde dieser Schritt ausdrücklich begrüßt.

Überhaupt war damals auch und gerade von europäischer Seite mehr Präsenz in der Region vorhanden als in den vergangenen Jahren. Auf dem ASEM-Gipfel herrschte uneingeschränkte Zustimmung der Politik Kim Dae-Jungs, wenngleich einige interne Differenzen aufflackerten. Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, kritisierte die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen EU-Staaten an Pjöngjang herantraten. Gemeint waren damit vor allem Großbritannien und Deutschland. Im Gegensatz zu Blair und Schröder hatte sich der französische Präsident Chirac eher reserviert gezeigt. Doch der Anfang Mai 2001 erfolgte Besuch einer hochrangigen Delegation der Europäischen Union unter Leitung des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten und EU-Ratsvorsitzenden Göran Persson in Nord- und Südkorea war dort als Goodwill-Geste willkommen geheißen und von Pjöngjang genutzt worden, nochmalig seine weitere Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Begleitet wurde Persson vom EU-Außenkommissar Chris Patten und dem EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana.

Zweifelloser Höhepunkt der Pjöngjanger Außenpolitik und Diplomatie war

der Besuch von US-Außenministerin Madeleine Albright am 23./24. Oktober

2000, womit erstmalig in der Geschichte beider Länder ein derart

hochrangiges Mitglied der US-Regierung in der Volksrepublik weilte.

Wäre Präsident Clinton in den letzten Tagen seiner Amtszeit nicht durch

die Bemühungen um Deeskalation des palästinensisch-israelischen

Konflikts und das sich daheim grotesk hinziehende Wahldebakel auf dem

falschen Fuß erwischt worden, hätte ihn möglicherweise seine letzte

Stippvisite ins Ausland Anfang 2001 nach Pjöngjang geführt, wo

bereits entsprechende Vorbereitungen im Anschluss an den Albright-Besuch

angelaufen waren.

Elefant im Porzellanladen

Was zu Beginn des Jahres 2001 vielversprechend auf einen behutsamen,

doch kontinuierlichen Entspannungsprozess auf der koreanischen Halbinsel

hindeutete, wurde mit dem Amtsantritt George W. Bushs polternd beiseite

geschoben. Selten ist ein Staatsgast, dazu noch ein gerade erst mit dem

Friedensnobelpreis geehrtes Staatsoberhaupt, dermaßen vorgeführt und

brüskiert worden, wie das Anfang März 2001 Kim Dae-Jung widerfuhr.

Anlässlich dieses ersten Staatsbesuchs eines asiatischen Regierungschefs

beim neuen republikanischen Chef im Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea am 7. März 2001 ohne Umschweife einen «Bedrohungsfaktor in Ostasien», mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und möglicherweise erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-amerikanischen Asienpolitik wieder aufgenommen würden. Als er dann auch noch den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog und signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung einstellen, ließ das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer und seine Entourage wie begossene Pudel dastehen. Noch einen Tag zuvor (am 6. März) hatte der neue Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlich gestimmten Gästen aus Seoul versichert, sein Land werde die «vielversprechenden Elemente» der Nordkorea-Politik seiner Vorgängerin weiterführen und da anknüpfen, wo die Clinton-Administration aufgehört habe.

So schlug die US-Regierung mit Blick auf Nordkorea eine Tür zu, für deren Öffnung es eines sensiblen und dauerhaften politisch-diplomatischen Engagements bedurft hatte. Gerade ein Jahr im Amt, brandmarkte Präsident Bush die Volksrepublik nebst Irak und Iran international als Teil einer ominösen «Achse des Bösen», die es zu zertrümmern galt. Die von US-Truppen geführte Irak-Invasion mit dem klaren Ziel, dort gewaltsam einen Regimewechsel herbeizubomben, ließ in Pjöngjang die Alarmglocken lauter schrillen. Seitdem setzt die politische Führung der Volksrepublik verstärkt aus Gründen systemimmanenter Logik und des schieren Überlebens willen auf das, was sie als «größtmögliches Abschreckungspotenzial» bezeichnet.

COPYRIGHT * ALLE RECHTE VORBEHALTEN: Dr.Rainer Werning / Stand: Mitte Oktober 2017

Anmerkungen

  1. Unterzeichnet wurde das am 27. Juli 1953 zur Beendigung des Koreakrieges in Panmunjom vereinbarte Waffenstillstandsabkommen lediglich von Nordkorea, der VR China und den beiden US-Generälen William K. Harrison und Mark W. Clark im Auftrag der Vereinten Nationen, die im Koreakrieg de jure als multilateraler Schirm der US-Intervention fungieren sollten, de facto allerdings dem US-Kommando unterstellt blieben – sehr zum Verdruss des damaligen UN-Generalsekretärs Trygvie Lie. Südkoreas damaliger Präsident Rhee Syngman verweigerte nicht nur die Unterzeichnung des Abkommens, er wollte sogar den Krieg fortsetzen. Erst als Washington einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, sein in Südkorea stationierter Oberbefehlshaber des Hauptquartiers der vereinigten amerikanisch-südkoreanischen Streitkräfte im Ernstfall auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen erhielt und Seoul beträchtliche Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe in Aussicht stellte, erklärte sich Rhee zur Respektierung der Waffenstillstandsklauseln bereit.

  2. Martine Bulard: „Nordkorea: Angst und Gebrüll – Soll die Welt Nordkorea als neunte Atommacht akzeptieren?, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.) vom 12.10.2017, S. 1 & 8, Berlin/Zürich.

  3. Im Dezember 1996 ging der damalige CIA-Direktor John Deutch vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats von folgendem Dreier-Szenario aus, das binnen der nächsten zwei oder drei Jahre entschieden würde: a) Nordkorea marschiert entweder in den Süden ein und es kommt erneut zu einem Krieg; b) oder das Land kollabiert bzw. implodiert wegen seiner immensen Wirtschaftsprobleme oder c) es kommt irgendwann zu einer friedlichen Regelung und Wiedervereinigung mit dem Süden – „CIA chief says N. Korea future clear within 3 years“, Reuters, 11. Dezember 1996.

  4. Zur Geschichte des Siechtums und schließlichen Scheiterns der KEDO s. Knut Mellenthin: „Weder Krieg noch Frieden“, in: Junge Welt vom 19.9.2017.

  5. Review of United States Policy Toward North Korea: Findings and Recommendations”. Unclassified Report by Dr. William J. Perry, U.S. North Korea Policy Coordinator and Special Advisor to the President and the Secretary of State, Washington, DC, October 12, 1999, 11 S.

  6. Bruce Cumings: „Kehrtwende in den USA: Washingtons Spannungspolitik in Ostasien“, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.), Berlin/Zürich: Mai 2001, S. 5. #