2 Leserbriefe zu „Widerstand auf Abwegen – Unsere Zeit“

Leserbrief von Gisela, Mülheim an der Ruhr, an die UZ Redaktion

 Kritiker auf Abwegen

Anfang Dezember veröffentlichte die Zeitung der DKP, die UZ, eine Buchkritik mit der Überschrift: „Widerstand auf Abwegen“ (unsere-zeit.de). Sie behandelt das Buch von José Maria Sison und Rainer Werning: „Ein Leben im Widerstand. Gespräche über Imperialismus, Sozialismus und Befreiung“ (Verlag Neuer Weg, Essen 2019). Der UZ-Autor ist Rüdiger Göbel.

Göbel zollt dem philippinischen Befreiungskampf und der großen Rolle von J. M. Sison Anerkennung: „Sieben Präsidenten, von Ferdinand E. Marcos bis Rodrigo Duterte, haben mit Unterstützung der US-Truppen Einkesselungs- und Unterdrückungskampagnen durchgeführt mit dem Ziel, die maoistische Neue Volksarmee (NPA) zu vernichten. Vergeblich. Die Despoten kamen und gingen, der Aufstand für soziale und politische Befreiung ist geblieben. Wie kein anderer steht José Maria Sison mit seinen 81 Jahren für die Kontinuität und Ausdauer dieses Aufstands. (…)

Für die Herrschenden in seiner südostasiatischen Heimat ist er das Enfant terrible schlechthin. Zweifelsohne ist er der meistgesuchte und meistdiffamierte Linke der Philippinen. … Mit Blick auf den philippinischen Widerstand selbst ist das Buch hochinformativ und spannend.“

So weit, so gut. Doch etwas schmeckt Herrn Göbel nicht: Es ist „Sisons durchgängige These“ von der Restauration des Kapitalismus in Russland und China: „China hat sich vollständig in ein kapitalistisches Land verwandelt und zu einer imperialistischen Macht entwickelt.“ Es scheint gerechtfertigt zu sein, den US-Imperialismus zu bekämpfen, aber bitte nicht Russland und China. Angeblich fehlen Beweise für den imperialistischen Charakter Chinas, dafür, dass der chinesische Expansionismus die Philippinen in eine Schuldenkolonie verwandeln will. Mehr oder weniger trickreich hat Göbel den obigen Satz nicht vollständig zitiert:

China hat sich vollständig in ein kapitalistisches Land verwandelt und zu einer imperialistischen Macht entwickelt und weist die wirt­schaftlichen Merkmale des von Lenin definierten Imperialismus auf. Was das fünfte Merkmal betrifft, nämlich den Abschluss der weltwei­ten Ausbreitung des Kapitalismus und den darauf folgenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten, so sind die Philippinen direkt mit dem chinesischen Expansionismus konfrontiert: China setzt sein überschüssiges Kapital und Militär ein, wodurch die souveränen Rechte der Philippinen im Westphilippini­schen (Südchinesischen) Meer verletzt werden.“ (S. 55)

An weiteren Stellen wird der chinesische Expansionismus dargestellt (S. 166): „Gestützt auf seinen sogenannten wirtschaftlichen Aufstieg und seine erhöhte militärische Stärke, beansprucht China das Eigentums­recht an 90 Prozent des Südchinesischen Meeres und beraubt die Phi­lippinen und andere südostasiatische Länder ihrer ausschließlichen Wirtschaftszonen und erweiterten Festlandssockel, die ihnen nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) zu­stehen. Der Ständige Schiedshof in Den Haag hat bereits die ‚histori­schen Ansprüche‘ Chinas für ungültig erklärt und damit zugunsten der Philippinen und gegen China entschieden.“

Diese berechtigte Kennzeichnung als imperialistische Politik wird vom Buchkritiker auf eine Stufe gestellt mit dem „China-Bashing“ von Trump und Konsorten (Bashing: neudeutsch für Beschimpfung). Sison und Trump angeblich Hand in Hand – als Fazit einer Buchbesprechung in der DKP-Zeitung. Die Beweise, die Herr Göbel vorlegt, sind einfach umwerfend. Dazu zitiert er aus dem Buch von Frank Sieren „Zukunft? China!“: „15 Jahre chinesisches Engagement haben in Afrika inzwischen wesentlich mehr positive Spuren hinterlassen als ein halbes Jahrhundert meist redliche, manchmal gedankenlose, zuweilen aber auch zynische Entwicklungshilfe aus dem Westen.“ China hat „positive Spuren hinterlassen„??? Und welche, bitte? Sollen das Beweise für die aktuelle sozialistische Außenpolitik Chinas sein? Der Autor dieses Buchs, Frank Sieren, lebt seit 1994 in Peking und verdient als „China-Experte“ wohl nicht schlecht an seinen China-Büchern. Anders als er wurden Vertreter der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und anderer revolutionärer Parteien aus China rausgeworfen wegen ihrer Kritik an der Restauration des Kapitalismus im China Deng Xiaopings (Sison/Werning, S. 55 ff).

Im letzten Absatz dokumentiert Rüdiger Göbel, dass er mit dem Marxismus wahrlich nichts am Hut hat, wenn er dem Leser seinen Höhepunkt an Augenwischerei präsentiert: die Verwischung des Unterschieds von  Kapitalismus und Sozialismus in China: „Das [Mao-]Seminar im Ruhrgebiet und ein daraus resultierendes Buch lieferten … einen bedeutenden Beitrag zur Wahrung, Verteidigung und Weiterentwicklung der Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus-Maoismus und des Sozialismus. Indes, die revolutionären Kräfte der Philippinen wären politisch heute vermutlich in einer besseren Position, würden sie China nicht als Feind und ‚neue imperialistische Macht‘ etikettieren. Seit dem Mao-Abend in Gelsenkirchen hat die Volksrepublik unter Führung der KP mehrere Hundert Millionen Menschen im Land aus der Armut befreit. Mit der ‚Neuen Seidenstraße‘ steht für die kommende Dekade ein ehrgeiziges globales Entwicklungsprojekt auf der Agenda, unter dem Banner des Sozialismus.“

Warum sollen die Menschen heute nach einer Alternative zu diesem krisengeschüttelten imperialistischen System suchen, wenn ihnen China als „sozialistisch“ präsentiert wird? Ein toller Sozialismus, in dem es aktuell circa 290 Millionen Wanderarbeiter gibt und über 800 Milliardäre.

 

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Michael, Düsseldorf, 18.12.2020

Leserbrief UZ, „Befreiung auf Abwegen“, Ausgabe vom 4.12.2020

Werte Genossinnen und Genossen,

in der Buchbesprechung „Ein Leben im Widerstand“ empfiehlt die UZ, dass José Maria Sison als Führungspersönlichkeit im philippinischen Befreiungskampf doch Hoffnungen auf die Volksrepublik China setzen und diese nicht als „neue imperialistische Macht“ etikettieren solle. Der Rezensent Rüdiger Göbel enthält dem Leser letztlich vor, weshalb José Maria Sison das heutige China für ein neuimperialistisches China hält. Während China zur Zeit Mao Zedongs den philippinischen Befreiungskampf unterstützte, plündert es inzwischen die Philippinen aus und hat der revolutionären Bewegung längst jedwede Unterstützung entzogen.

Revolutionäre in China diskutieren längst sehr lebhaft über den neuimperialistischen Charakter ihres Landes. Die Untersuchung von Stefan Engel über die Herausbildung neuimperialistischer Länder übersetzten sie ins Chinesische und es ist im chinesischen Google (Baidu) downloadbar. Selbst chinesische Wirtschaftszeitungen debattieren seit 2018 unter anderem, dass Mao Zedong bereits in den 1960er Jahren vor einer möglichen kapitalistischen und damit imperialistischen Entartung Chinas gewarnt hat. Nun gut – es steht der DKP und UZ frei, dem kapitalistischen und imperialistischen China als Sozialismus zu huldigen.

Für einen kritischen UZ-Redakteur wäre überdies auch die Frage nach dem Charakter der früheren Bruderpartei PKP (Partido Komunista ng Pilipinas-1930) und ihrer Rolle während der Marcos-Diktatur interessant. Die PKP ist der DKP auch heute noch im Rahmen der „Internationalen Treffen Kommunistischer und Arbeiterparteien – solid.net“ verbunden. Zur Zeit der Marcos-Diktatur versicherte eben diese PKP dem philippinischen Präsidenten Ferdinand E. Marcos ihre Unterstützung für seine vermeintlichen Land- und demokratischen Reformen. Soll die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) heute etwa den Terror des amtierenden Präsidenten Rodrigo R. Duterte gegen Gewerkschafter, Journalisten, Menschenrechts- und Umweltaktivisten sowie Befreiungskämpfer unterstützen, damit der imperialistischen Seidenstraße der Weg geebnet wird?

In den Positionen dieser Rezension steckt schon gehörig starker Tobak!