Militärische Intelligenz – Michael L. Tan – Übersetzt von Rainer Werning

Kolumne – Pinoy Kasi

Von Michael L. Tan

Philippine Daily Inquirer (PDI) vom 27. Januar 2021

Lächerlich dumm“ nannte die Nationale Journalistenunion der Philippinen (NUJP) die Liste der Streitkräfte der Philippinen (AFP) mit Absolventen der renommierten staatlichen University oft he Philippines (UP), die angeblich Mitglieder der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), seien.

Ich dachte, ich wäre da freundlicher und subtiler und stellte stattdessen den Begriff des militärischen Geheimdienstes, mitunter einfach als „intel“ abgekürzt, in Frage. Ja, ich werfe die Soldaten und Polizisten, die mit ihren Enthüllungen aufwarten, in einen Topf. Wir sollten nämlich nicht vergessen, dass beide einst gemeinsam dem Verteidigungsministerium (Department of National Defense – DND) unterstanden, weshalb das ursprüngliche UP-Abkommen mit dem DND aus dem Jahre 1981(erneuert wurde dieses im Jahre 1989 – RW) sowohl dem Militär als auch der Polizei das Betreten unseres Campus verbot.

Jetzt scheint es, als warteten einige ihrer Anführer – ich überlasse es Ihnen zu spekulieren, bis zu welcher Ebene der Befehlsverantwortung – mit immer neuen „Geheimdienst“-Informationen auf, um sich mit allen Mitteln direkten Zugang zur UP zu verschaffen.

Die Verwendung von „dumm“ durch die NUJP erinnerte mein altes Gehirn an eine Bemerkung, die dem überaus beliebten US-amerikanischen Komiker Groucho Marx zugeschrieben wird: „Militärische Intelligenz ist ein Widerspruch in sich.“ Das war vor etwa 50 Jahren, als ich noch auf dem College war, also wollte ich sichergehen. Ich überprüfte quoteinvestigator.com, eine erstaunliche Website mit Leuten, die Informationen darüber zutage fördern, ob eine berühmte Person tatsächlich dieses oder jenes gesagt hat, und, falls es nicht stimmt, die tatsächliche Quelle ausgraben.

Die Seite bestätigte, dass Groucho Marx (es gibt einen triftigen Grund, weshalb ich seinen vollen Namen immer wieder ausschreibe) diesen Kommentar über den militärischen Geheimdienst zwar tatsächlich gemacht hat, aber es scheint, dass dies vor dem Komiker noch andere getan haben. Quoteinvestigator.com konnte auf einen Tagebucheintrag eines Brigadegenerals und Offiziers des militärischen Geheimdienstes, John Charteris, aus dem Jahr 1916 zurückgreifen, in dem er Lord George Curzon, den ehemaligen Vizekönig von Indien, mit den Worten zitierte: „Für ihn ist der militärische Geheimdienst wohl ein Widerspruch in sich.“

Die Zitate stammen folglich von Leuten, die allesamt etwas von militärischen Angelegenheiten verstehen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts gab es weitere ähnliche Zitate von Politikern und – am berühmtesten – von Groucho Marx, dem auch ein weiteres Zitat zugeschrieben wird, wonach militärische Intelligenz ein Oxymoron sei. Was freilich immer noch einen Widerspruch in sich bedeutet – zum Beispiel „sich natürlich verhalten“, „ohrenbetäubendes Schweigen“ und neuerdings in COVID-19-Zeiten „allein zusammen“. Es sind dies höchst widersprüchliche Begriffe, zugleich aber auch starke Ausdrucksweisen, die Wahrheit zu erfassen.

Wie die NUJP könnte ich einfach nur über die Dummheit lachen, aber militärische Intelligenz in ihrer Oxymoron-Version hat bittere Konsequenzen.

Erstens sind es die Gelder der Steuerzahler, die für all diesen Un- und Wahnsinn bezahlt werden. Ich konnte keine genauen Zahlen darüber finden, wie hoch die Gesamtsumme der Gelder ist, die von der Regierung für sämtliche geheimdienstliche Aktivitäten ausgegeben werden. Doch allein das Präsidialbüro verfügt im laufenden Fiskaljahr über einen Geheimdienstetat in Höhe von 4,5 Milliarden Peso (umgerechnet ca. 83 Mio. Euro — RW).

Zweitens können lücken- und fehlerhafte Informationen auf dem Schlachtfeld katastrophale Folgen haben. Da kommt mir sofort das schreckliche „Fehltreffen“ zwischen Kombattanten der muslimischen Widerstandsorganisation der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) und Spezialeinheiten (SAF) der Nationalpolizei (PNP) in der südlichen Provinz Maguindanao mit allein 44 SAF-Toten im Januar 2015 in den Sinn. Und das nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen der Regierung und der MILF.

Beim aktuellen „Red-Tagging“ (der Stigmatisierung fortschrittlicher Kräfte als „Rote“, um sie sodann buchstäblich „zum Abschuss“ freizugeben – RW) werden Menschenleben bewusst aufs Spiel gesetzt, wenn sie fälschlicherweise als NPAs bezeichnet werden, da Präsident Duterte seine Soldaten öffentlich wiederholt zum Töten aufstachelte, um sich vermeintlicher Feinde zu entledigen.

Hinzu kommen neuere Mutmaßungen, wonach nicht nur die UP und die Polytechnische Universität der Philippinen (PUP) als angebliche Rekrutierungsorte der NPA aufgelistet werden, sondern darüber hinaus auch die Universitäten Ateneo, De La Salle, Far Eastern sowie die unter Ägide der Dominikaner stehende University of Santo Tomas – allesamt recycelte Anschuldigungen aus dem Jahre 2019. Vielleicht haben die Geheimdienstler da die NPA in ihrem Übereifer mit der UAAP (University Athletic Association of the Philippines) verwechselt. Im Ernst: Wir müssen hier die AFP und die PNP für ihre unverantwortlichen Statements zur Rechenschaft ziehen, die in hochgradigem Maße das Leben des Lehrpersonals sowie der Studenten in diesen Hochschulen gefährden.

Vergessen Sie auch nicht, dass die Polizei vielfach fabrizierte Beweise heranzieht und Leute hinter Gittern bringt, die keinerlei Verbrechen begangen haben. Wie viele Frauen und Männer verrotten im Gefängnis, einige mit lebenslänglicher Haftstrafe, wegen Drogenvergehen, die auf böswilligen oder gefälschten Informationen basieren? Und schließlich das Manipulieren von Statistiken, um die in Diliman domizilierte UP als einen Schwerpunkt von Kriminalität zu brandmarken – allesamt faule Tricks, um schlechte Informationen zu produzieren.

Wenn es darauf hinausläuft, dass sie nichts finden können, sollten unsere Geheimdienstler einfach die Wahrheit sagen und klipp und klar konstatieren, dass es keine Beweise gibt. Fehlerhafte, gefälschte, böswillige Geheimdienstinformationen laden zu noch mehr öffentlichem Spott ein und unterstützen die Idee, dass militärische Geheimdiensttätigkeit tatsächlich ein Widerspruch in sich ist.

Nun denn. Ich kann mir vorstellen, dass in naher Zukunft irgendein Möchtegern-Geheimdienstler sagen wird, Mike Tan sei ein Kommunist. Und als Beweis dafür wird angeführt, dass er just diese Kolumne verfasste, in der er den anderen, berühmteren Marx zitierte und Militärs Schwachköpfe schalt.

mtan@inquirer.com.ph / Vom Autor autorisierte Übersetzung ins Deutsche: Rainer Werning

Dr. Michael L. Tan ist Veterinärmediziner, Sozialanthropologe und Verfasser der vielbeachteten Kolumne Pinoy Kasi (was so viel heißt wie „Weil ich halt Filipino bin“) der Tageszeitung Philippine Daily Inquirer. Er war landesweit einer der Hauptinitiatoren eines gemeindebasierten Gesundheitsprogramms sowie Dekan des College of Social Sciences and Philosophy der University of the Philippines in Diliman, bevor er von 2014 bis 2020 als deren Kanzler fungierte. [RW]