Michael L. Tan – Böser Polizist, guter Polizist?

Michael L. Tan – Böser Polizist, guter Polizist?

Von Michael L. Tan (*)

Rainer Werning besorgte die vom Verfasser autorisierte Übersetzung ins Deutsche.

Nach öffentlicher Empörung erklärte die Sprecherin der Philippinischen Nationalpolizei (PNP), Oberst Jean Fajardo, in einer Pressekonferenz, dass die Polizei es nicht böse gemeint habe, als sie kurz nach der Ermordung des beliebten Rundfunkkommentators Percival Mabasa (besser bekannt als Percy Lapid) am 3. Oktober (**) einen „Besuch“ machte, um sich nach der Sicherheit des Journalisten zu erkundigen.

Aber die „geehrten“ Medienleute und Politiker (sogar einige Ordnungshüter) sahen solche „Besuche“ als kaum verhüllte Drohungen an. Andere öffentliche Interpretationen lauteten, dass die Polizei darauf aus war, „Schutz“-Geld zu erpressen oder, schlimmer noch, die Nachbarschaft des Journalisten zu überprüfen, wie sie es mit einem verdächtigen Kriminellen tun würde, um Razzien vorzubereiten … oder Schlimmeres.

Unsere Polizei hat einen schweren Stand, wenn es um die Öffentlichkeitsarbeit geht, und dieses Imageproblem verschärft sich noch. In allen Bereichen – Korruption, Verletzung der Menschenrechte, sogar im privaten Familienleben – wird die Polizei als schlimmer als das Militär wahrgenommen – mit anhaltend düsteren Zukunftsaussichten.

Ich denke, die Geschichte unserer Polizei hängt mit der Korruption der Macht zusammen, was nicht nur ein paar Jahre währt, sondern Jahrhunderte zurückreicht.

Unsere Polizei geht auf die spanische Guardia Civil zurück, die in Rizals Romanen als grausame Unterdrücker verewigt oder zu Recht dämonisiert wurde, die ihre Befehle von spanischen Mönchen und Beamten erhielt.

Als die Amerikaner kamen, gründeten sie die Philippine Constabulary (PC), ursprünglich zur Bekämpfung nationalistischer Aufständischer, die sich den neuen Kolonisatoren widersetzten und einen langwierigen philippinisch-amerikanischen Krieg führten, wobei die Aufständischen abschätzig als ladrones oder Diebe/Banditen bezeichnet wurden.

Nach dem Abflauen des Aufstands blieb die PC bestehen, hauptsächlich um die Interessen der lokalen Politiker zu schützen. Die PC war und blieb Teil des Militärs beziehungsweise der Streitkräfte des Landes (AFP).

1966 wurde eigens eine Nationale Polizeikommission geschaffen, die immer noch den Streitkräften unterstellt war und die in den Gemeinden und Städten eingesetzten Polizeikräfte beaufsichtigen sollte. Doch die Polizei geriet rasch in den Ruf von Korruption und Gewalt.

Unter dem Kriegsrecht wurde die Integrierte Nationale Polizei (INP) gegründet und 1975 unter eine gemeinsame Kommandostruktur mit der PC gestellt. Diese PC-INP war wiederum Teil der AFP und erlangte Berühmtheit für ihre Menschenrechtsverletzungen, darunter die gewaltsame Auflösung von Kundgebungen, Entführungen, Folter und das Verschwindenlassen von Personen.

Nach der Edsa-Revolte wurde 1991 schließlich die PNP, eine zivile Polizeitruppe, gegründet. Die Korruption hielt an, aber die Gewalt ging etwas zurück, da der Schutz der Menschenrechte besser gewährleistet wurde. In vielen Gemeinden, vor allem außerhalb von Metro Manila, fungierte die Polizei jedoch weiterhin als Privatarmee für Politiker und wütete in Wahlzeiten am schlimmsten – als Schläger nebst Waffen und Gold.

Ich habe damals die wachsende Ambivalenz gegenüber der Polizei miterlebt, und sie hält bis heute an. Wenn man arme Stadtkinder fragte, was sie eines Tages werden wollten, antworteten viele: „Pulis“, und ich wusste, warum – Korruption beziehungsweise Teilhabe daran, was von der Polizei so normalisiert wurde.

Aber wie normal ist normal, wenn unser Herz einige Schläge aussetzt, sobald wir einem Polizisten auf der Straße begegnen, der seinen Arm hebt? Regelt er nur den Verkehr oder hält er dich an, um Geld zu erpressen? Ich hatte junge Neffen und Nichten (mehr letztere), die sich darüber beklagten, dass sie leichte Beute für Polizisten waren, die gerade Geld brauchten.

Die gemischten Gefühle, die Menschen gegenüber dem Polizisten aus der Nachbarschaft hegen, wurden durch einen Vorfall in den 1980er Jahren, als ich in Malate lebte, dramatisch veranschaulicht. Ich war losgezogen, um Frühstück zu holen, und meine Freunde auf der Straße waren in heller Aufregung. Ein Polizist aus der Nachbarschaft war ermordet worden, ohne dass jemand wusste, von wem und vor allem warum.

Die Leute trauerten aufrichtig um den Verstorbenen: „Ang bait bait naman niya“, sagten die Leute immer wieder und meinten damit, dass er ein so netter Mensch gewesen war. Als ich die Umstände seiner Ermordung recherchierte, erfuhr ich von einem Straßenhändler: „Ayan, nangongolekta“ – er hatte Schutzgeld kassiert.

Dieses relativ freundliche Bild des Polizisten von nebenan verschwand gänzlich unter Duterte, vor allem mit dem Krieg gegen die Drogen und später mit dem Red-Tagging. Duterte entfesselte die Polizei und das Militär und wies beide öffentlich an, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen.

Wir leben mit der Vergangenheit. Die jüngsten Polizei„besuche“ bei Medienvertretern (und einigen bekannten politischen Aktivisten) riechen nach Dutertes tokhang, das aus dem Cebuano toktok hangyo stammt und von der Polizei als höfliches Anklopfen mit anschließender Untersuchung praktiziert wurde. Wenige Monate nach ihrer Einführung als Teil des Krieges gegen die Drogen wurde diese Methode bereits als toktok bangbang parodiert: man klopft an die Tür, um dann sofort zu schießen.

Entspricht es Wunschdenken, sich vorzustellen, dass es weitaus mehr gute als schlechte Polizisten gibt?

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Diese Kolumne erschien am 18. Oktober 2022 im Philippine Daily Inquirer. Rainer Werning besorgte die vom Verfasser autorisierte Übersetzung ins Deutsche.

 (*) (Anm. von RW): Dr. Michael L. Tan ist Veterinärmediziner, Sozialanthropologe und war Autor der vielbeachteten Kolumne Pinoy Kasi (was so viel heißt wie „Weil ich halt Filipino bin“) der Tageszeitung Philippine Daily Inquirer (PDI). Er war landesweit einer der Hauptinitiatoren eines gemeindebasierten Gesundheitsprogramms sowie Dekan des College of Social Sciences and Philosophy der University of the Philippines in Diliman, bevor er von 2014 bis 2020 als deren Kanzler fungierte.

Nach 25 Jahren, in denen er seine wöchentliche Kolumne „Pinoy Kasi“ verfasste, schreibt Michael L. Tan ab dem 4. Oktober 2022 im PDI eine neue Kolumne mit dem Titel „Gray Matters“, in der er altersgemäß und sozusagen als Graue Eminenz neue Schwerpunkte setzt.

(**) Der 63-jährige Percival Mabasa ist der zweite Journalist, der seit dem Amtsantritt von Präsident Marcos Junior Ende Juni dieses Jahres erschossen wurde. Seit 1986 sind insgesamt 198 Medienleute ermordet worden. Momentan stuft das Committe to Protect Journalists die Philippinen weltweit auf Rang 7 der für Medienschaffende gefährlichsten Länder ein. #