Junge Welt – Rainer Werning – Koreanische Halbinsel: Manöver gegen Pjöngjang
Ausgabe vom 21.08.2021, Seite 6 / Ausland
USA und Südkorea veranstalten Militärübungen auf Halbinsel. Washington könnte Kurs ändern
Von Rainer Werning
Kim Jun-Bum/Yonhap/dpa
Soldaten aus den USA und Südkorea bei einer Militärübung im August 2017 bei Pohang
Die jährlich auf der Koreanischen Halbinsel von Eliteeinheiten der USA und Südkoreas veranstalteten Militärmanöver gleichen mittlerweile einem Ritual. Seit nunmehr 68 Jahren gibt es dort lediglich ein Waffenstillstandsabkommen, das den Koreakrieg (1950–1953), den ersten »heißen« Konflikt im Kalten Krieg, beendete. Die USA haben auf südkoreanischem Boden noch immer 28.500 Soldaten stationiert – angeblich zur Abschreckung gegen Bedrohungen durch die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK, Nordkorea). Bis heute sind sämtliche politisch-diplomatischen Bemühungen fehlgeschlagen, dieses Abkommen in einen dauerhaften Friedensvertrag umzuwandeln. Die »Panmunjom-Erklärung« von 2018, in der sich beide Koreas darauf verständigten, den Krieg offiziell beenden zu wollen, sendet hingegen hoffnungsvolle Signale aus. Ziel all der bis dato abgehaltenen Militärmanöver war und ist es, gegenüber der DVRK eine Drohkulisse aufzubauen und deren Staatsführung zur Preisgabe des nordkoreanischen Nuklearprogramms zu zwingen.
Mit ebenderselben Stoßrichtung sollten die aktuellen gemeinsamen US-amerikanisch-südkoreanischen Militärübungen durchgeführt werden, die diesmal in zwei Phasen ablaufen. Ein sogenanntes Krisenmanagementtraining lief vom 10. bis 13. August, die sich unmittelbar daran anschließende kombinierte Führungsübung begann am Montag und dauert bis zum 26. August an. Doch bereits im Vorfeld der Manöver ließen die entsprechenden Generalstäbe verlauten, dass ausnahmsweise keine Übungen in freiem Gelände geplant seien. Mit Rücksicht auf die verschlechterte Covid-19-Situation in Südkorea werde zudem der Umfang der gemeinsamen Übungen reduziert, statt dessen stünden Computersimulationen im Vordergrund, kündigte das südkoreanische Militär am Sonntag an. Es gelte, so hieß es in Washington und Seoul unisono, generell die gemeinsame »Verteidigungsbereitschaft« aufrechtzuerhalten und diplomatische Bemühungen um eine Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel sowie die Schaffung dauerhaften Friedens zu unterstützen.
Eine Sichtweise, die seitens der nordkoreanischen Führung unter Kim Jong Un attackiert und strikt zurückgewiesen wird. Kim Yo Jong, erste stellvertretende Abteilungsleiterin für Öffentlichkeits- und Informationsarbeit des Zentralkomitees der regierenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK) und Schwester des Staatschefs, warf den USA am 10. August eine fortgesetzt feindselige Politik und der Regierung in Seoul unter Präsident Moon Jae In unumwunden »heimtückisches Verhalten« vor und drohte mit harschen Vergeltungsmaßnahmen. Beide Seiten müssten sich aufgrund ihres Vorgehens auf eine »ernstere Sicherheitsbedrohung« einstellen, wurde die Parteifunktionärin von den Staatsmedien zitiert. Nordkorea werde, so die staatliche Nachrichtenagentur KCNA, seine Fähigkeiten für »einen machtvollen Präventivschlag« erhöhen. Kim Yo Jongs harsche Kritik erfolgte nur wenige Tage nach der Wiederherstellung der ein Jahr lang unterbrochenen Kommunikationskanäle zwischen Seoul und Pjöngjang.
Aufgrund der unvorhergesehenen und sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan wird nunmehr Sung Kim, der US-Sonderbeauftragte für Nordkorea, ab diesem Sonnabend zu einem viertägigen Besuch in Seoul erwartet – die zweite Reise nach Südkorea innerhalb von zwei Monaten seit seinem Amtsantritt im Mai. Das Timing der Stippvisite wirft die Frage auf, ob die Regierung von US-Präsident Joseph Biden nach ihrer Neubestimmung der US-amerikanischen Nordkorea-Politik, die bislang keine neuen Impulse zu geben vermochte, zumindest eine teilweise Lockerung von Sanktionen gegenüber der DVRK erwägt. Bislang pochte das Weiße Haus auf Denuklearisierung seitens Pjöngjangs als ersten Verhandlungsschritt.
Seoul hat – gerade nach dem US-Debakel in Afghanistan – gute Gründe, Washingtons »Bündnisverpflichtung« auf der Halbinsel kritisch zu betrachten und selbst auf eine Ausdünnung der US-Truppenpräsenz hinzuwirken. Das erleichterte die Reaktivierung direkter Verbindungen mit Pjöngjang und würde zumindest für geraume Zeit Konfliktpotential minimieren. #