Junge Welt – Rainer Werning – Schlappe für Manila

09.05.2016 / Ausland / Seite 6

Im Süden der Philippinen spielen Abu-Sayyaf-Gruppen mit den staatlichen Sicherheitskräften Katz und Maus

Von Rainer Werning

Noch Ende April gerierte sich der Präsident der Philippinen, Benigno S. Aquino III., kurz »Noynoy« genannt, als Politmacho. Der Staatschef kündigte eine »gnadenlose Großoffensive« gegen die seit langen Jahren im Süden des Inselstaates operierende Abu-Sayyaf-Gruppe (ASG) an, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 international als »terroristisch« eingestuft wird. Doch ausgerechnet in der Schlussphase seiner Ende Juni auslaufenden, sechsjährigen Amtszeit dreht die ASG – genauer: Gruppierungen, die unter diesem Namen firmieren – den Spieß um. In einem knapp einminütigen Video, das am 3. Mai auf der Internetseite Zero Censorship hochgeladen wurde, wird von einer auf der Insel Jolo operierenden Gruppe die am 25. April vollzogene Enthauptung der 68jährigen kanadischen Geisel John Ridsdel dokumentiert und an Aquino appelliert, geforderte Lösegelder schnellstmöglich zu zahlen. Andernfalls werde man auch andere der noch immer etwa zwanzig Geiseln – unter ihnen ein weiterer Kanadier, ein Norweger, eine Filipina sowie Malaysier, Indonesier und ein Japaner – töten. Selbst Präsident Aquino werde man nicht verschonen, sollte man seiner habhaft werden. Anfang dieses Monats hatten Regierungskreise bestätigt, dass die ASG geplant habe, neben Kristina »Kris« Aquino, der Schwester des Präsidenten, auch die Boxikone Emmanuel »Manny« ­Pacquiao zu entführen.

Die ursprünglich auf der südphilippinischen Insel Basilan von Moros, die gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan gekämpft hatten, gegründete ASG hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr aufgesplittert. Einige ihrer Gruppierungen operieren von verschiedenen Orten auf der weiter südlich gelegenen Insel Jolo aus und genießen dort die Unterstützung der Bevölkerung. Auf Jolo existiert noch aus den Tagen des Zweiten Weltkriegs ein nur Ortskundigen bekanntes, verzweigtes Tunnelsystem, das es Mitgliedern und Sympathisanten der ASG erlaubt, allen Militäroperationen der staatlichen Sicherheitskräfte zu trotzen. Selbst mit Hilfe von US-Spezialeinheiten, die vor allem im Komplex des Western Mindanao Command der Streitkräfte in Zamboanga City stationiert sind, konnte der ASG beziehungsweise ihren Ablegern nicht das Rückgrat gebrochen werden.

Am vergangenen Dienstag bot schließlich die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) Schützenhilfe an. Mit ihr hatte Manila im Frühjahr 2014 ein Friedensabkommen unterzeichnet, das allerdings bis heute nicht umgesetzt wurde. Sammy Al-Mansoor, Stabschef der bewaffneten Einheiten der MILF, der Bangsamoro Islamic Armed Forces (BIAF), kündigte an, die Regierungstruppen nachrichtendienstlich und logistisch zu unterstützen, um die Mörder von Ridsdel zu ergreifen.

Für Präsident Aquino und seinen designierten Nachfolger Manuel Roxas II. von der Liberalen Partei bedeuten die seit Anfang dieses Jahres verstärkten Operationen der ASG und ihrer diversen Ableger eine schwere politische Schlappe. Trotz martialischer Töne hat es die Regierung nicht vermocht, die Sicherheitslage im Süden des Landes zu entspannen. Von einer »Vernichtung der Abu Sayyaf« oder gar der Ergreifung ihres steckbrieflich gesuchten Führers Isnilon Hapilon ganz zu schweigen. Dieser hat sich in Videobotschaften zum »Islamischen Staat« (IS) bekannt und gilt in Washington als einer der weltweit gesuchten »Topterroristen«, auf den ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt ist.

Erst im vergangenen Monat mussten die Regierungstruppen eine schwere Niederlage hinnehmen, als in Tipo-Tipo und Al-Barka im südöstlichen Teil Basilans bei einem knapp zehnstündigen Feuergefecht 18 Soldaten ums Leben kamen. Anfang letzter Woche setzten Mitglieder der in Zentraljolo operierenden Gruppe – offensichtlich nach Zahlung eines Lösegelds in unbekannter Höhe – zehn gekidnappte indonesische Seeleute auf freien Fuß. In Washington, Manila, Kuala Lumpur und Jakarta denkt man laut darüber nach, die Sulusee verstärkt »vor Terrorismus und Piraterie« zu schützen.

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