Kategorie: Korea
TAZ – Rainer Werning – Südkorea: Aufklärung mit Tücken – Südkorea gedenkt Volksaufstands in Gwangju.
Tageszeitung junge Welt / Berlin
Ausgabe vom 27.05.2020, Seite 6 / Ausland
Südkorea gedenkt Volksaufstands in Gwangju.
Wahrheitsfindungskommission soll Umstände klären
Von Rainer Werning
Gedenken_an_Gwangju_65388605.jpg (YNA/dpa)
Rede von Südkoreas Präsident Moon zum 40. Jahrestag des
Gwangju-Aufstandes (18.5.2020)
Am 27. Mai 1980 erlebte die selbstverwaltete »Freistadt Gwangju« in
Südkorea den schwärzesten Tag ihrer Geschichte, als der zehntägige
Volksaufstand mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurde.
Anlässlich des 40. Jahrestags des Beginns der Erhebung wandte sich
Präsident Moon Jae In am 18. Mai bei einer öffentlichen Zeremonie vor
dem ehemaligen Provinzbüro der Stadt mit aufrüttelnden Worten an die
Bevölkerung: »Durch Gwangju haben wir Demokratie erlebt und auch, wie
sie die Menschen einander näherbringt, uns zum Teilen bewegt und uns
besser kommunizieren lässt. Diese Erfahrung, die uns eingeprägt wurde,
wird immer unsere größte Stärke sein, ganz egal, welchen Schwierigkeiten
wir entgegenblicken.«
Gleichzeitig erneuerte Moon die Forderung seiner Regierung nach
Einsetzung einer Wahrheitsfindungskommission. Dieser, so beteuerte der
Präsident, solle es vor allem darum gehen, auf der Grundlage von
Wahrheit Versöhnung und Einheit anzustreben. Allein, bis heute
existieren sehr unterschiedliche Zahlenangaben über die in Gwangju
Ermordeten und Verletzten. Noch wird offiziell von 207 Todesopfern
ausgegangen, während nichtstaatliche Stellen von Hunderten Verletzten
und vermissten Personen sowie von über 2.000 Toten sprechen.
Als großes Hindernis zur Aufarbeitung des Gwangju-Massakers hatte sich
in der Vergangenheit immer wieder der Widerstand ultrareaktionärer
Hardliner inner- wie außerhalb des Parlaments erwiesen. Diese vertreten
bis heute die Position, nordkoreanische Soldaten und Agenten hätten
seinerzeit in Gwangju einen Aufstand angezettelt, um die Regierung in
Seoul zu destabilisieren. Moons politisches Lager hingegen insistiert
auf einer umfassenden Aufklärung, zumal sich der Präsident selbst als
ehemaliger studentischer Aktivist und langjähriger Bürgerrechtsanwalt
engagiert hatte.
Im Mai 1980 hatten in zahlreichen Städten Südkoreas die Menschen für
bessere Lebensbedingungen, kürzere Arbeitszeiten, für Freiheit und
Demokratie demonstriert. Seit 1961 hatte eine Militärjunta unter Führung
Park Chung Hees dem Land gewaltsam ihren Stempel aufgedrückt. Dissens,
Protest und Widerstand erstickten Parks Schergen bereits im Keim. Ende
Oktober 1979 wurde der Präsident selbst Opfer seiner Soldateska –
erschossen vom eigenen Geheimdienstchef. Das kurze politische Tauwetter
endete abrupt im Frühjahr 1980, als es nunmehr Chun Doo Hwan – auch er
ein General – gelang, seine Macht zu etablieren. Zu heftig, befand die
Militärclique um Chun, hatten die Menschen, vor allem in der Provinz
Südjeolla und ihrer damaligen Hauptstadt Gwangju, aufbegehrt und nach
Demokratie verlangt.
Traditionell von der Zentralregierung vernachlässigt, wurde Jeolla bei
staatlichen Entwicklungsvorhaben stets zuletzt bedacht, während ihre
Bürger überproportional mit Steuern und anderen Abgaben belastet wurden.
Mitte Mai 1980 machten 200.000 Bürger Gwangjus, gut ein Viertel der
damaligen Gesamtbevölkerung, in friedlichen Umzügen ihrem Ärger über die
Mächtigen in Seoul Luft. Erst das brutale Eingreifen einer sogenannten
Eliteeinheit führte zu gewalttätigen Straßenschlachten.
Greueltaten der staatlichen Einsatzkräfte brachten die Menschen
schließlich dazu, Waffen- und Munitionsdepots zu stürmen und die
»Freistadt Gwangju« auszurufen. Aus friedlichen Demonstrationen war eine
bewaffnete Rebellion geworden, die Truppen flohen vorübergehend aus der
Stadt. Am 27. Mai rückten jedoch, mit stillschweigender Duldung des
Chefs des US-amerikanisch-südkoreanischen Oberkommandos, General John A.
Wickham, teils aus der Grenzregion zu Nordkorea abgezogene
»Elitesoldaten« der südkoreanischen Armee zum Angriff auf die Stadt vor
und beendeten den Aufstand mit Panzern und Fallschirmjägern.
Dieses Massaker erschütterte den stramm antikommunistischen Kurs des
Militärregimes und dessen Zwecklüge, Nordkorea sei von dem Wahn
besessen, den Süden zu »schlucken« und kommunistisch umzukrempeln. Es
waren südkoreanische Soldaten, die auf südkoreanische Zivilisten
geschossen hatten. #