Buchbesprechung: Ka Bel The Life and struggle of Crispin Beltran

(zu Deutsch: Das Leben und der Kampf von Crispin Beltran) von Ina Alleco R. Silverio, erschienen bei Southern Voices Printing Press 2010 in Quezon City, Philippinen, ISBN 978 971 94081 5 4

Im April 2010 erschien dieses spannende und informative Buch über den legendären, langjährigen Vorsitzenden der Gewerkschaft Kilusang Mayo Uno, KMU (Gewerkschaftsbewegung des 1. Mai), Crispin Beltran, bekannt als Ka Bel.

Die Autorin, Ina Silverio, hat mit Ka Bel 12 Jahre für ihn bzw. mit ihm zusammengearbeitet und ihm während seines Aufenthaltes im philippinischen Herzzentrum (zu dieser Zeit war er noch als politischer Gefangener inhaftiert, von 24.Februar 2006 bis 2. Juli 2007) den Vorschlag gemacht, ein Buch über sein Leben, das so voll von Dramatik und Aktivitäten war, zu schreiben. In seiner ihm eigenen bescheidenen Art lächelte er und fragte: „Will irgendjemand über mich ein Buch lesen? Warum sollten sie? Ich bin bloß einer von Millionen Gewerkschaftsaktivisten.“ (Ka Bel, S.5) Doch dann ließ er sich darauf ein und ließ seinen Erinnerungen freien Lauf, die dann für die Erstellung des Buches sortiert werden mussten.

So beschreibt die Autorin in ihren einleitenden Worten die Entstehung dieses tollen Buches. Schade, dass er es nicht erleben konnte (er starb nach einem tragischen Unfall am 20. Mai 2008, d.h. 11 Monaten nach seiner Haftentlassung, die durch landesweite und internationale Proteste und Solidarität erfolgreich durchgesetzt werden konnte), wie viele Menschen das Buch über sein Leben und seinen Kampf inzwischen gelesen haben. Ich selber habe es mit wachsendem Vergnügen und Interesse regelrecht verschlungen. Leider ist es bisher nur in englischer Sprache zu haben, aber vielleicht findet sich ja jemand, der es ins Deutsche übersetzt. Das wäre doch z.B. eine tolle Herausforderung für Rainer Werning.

Doch weiter zu dem Inhalt des Buches:

In ihrer Einleitung beschreibt die Autorin Ka Bel als hingebungsvollen Vater (er wurde Vater von 11 Kindern und einem weiteren in einer zweiten Beziehung), liebenden Ehemann, einen charismatischen Arbeiterführer, einen kämpferischen Kongressabgeordneten, einen wahren Kamerad und einen wirklichen Revolutionär. „Für die Arbeiter, für das Land. Dem Volke dienen. Kampf für nationale Demokratie und Sozialismus. Das waren die Worte, für die er lebte und denen bis zu seinen letzten Momenten treu blieb.“ (Ka Bel, S. 5)

Sie beschreibt sein Leben mit Beginn seiner Geburt am 7. Januar 1933 in Bacacay, Albay bis zu seinem Tod am 20. Mai 2008 in Bulacan.

In seiner Kindheit wird er als achtjähriger Junge Zeuge der Grausamkeit der imperialistischen japanischen Besatzungsarmee, die am 8. Dezember 1941 mit Truppen auf der philippinischen Hauptinsel Luzon einmarschiert. Er erlebt aber auch den sich sofort formierenden Widerstand des tapferen philippinischen Volkes, das eine erfolgreiche Guerillaarmee, die Hukbalahap, organisiert, auf ihrem Höhepunkt mit 30.000 bewaffneten Filipinos, die mit ihrem mutigen Kampf den Abzug der japanischen Invasoren am 2. September 1945 durchsetzt. Die Zeit der Besatzung hat Auswirkungen auf seinen Schulbesuch, der dadurch unterbrochen wird. Einerseits lernt er fleißig, andererseits ist das Leben in der Besatzungszeit und die praktischen Erfahrungen mit dem nationalen Befreiungskampf selbst eine prägende Schule für die Entwicklung eines fortschrittlichen Bewusstseins. Da Ka Bel in eine Familie hineingeboren wurde, die von der Hand in den Mund von einem auf den anderen Tag lebte, übernahm auch er in jungen Jahren Verantwortung für das Leben der Familie, kümmerte er sich um seine jüngeren Geschwister und half seinen Eltern auf dem Feld. Nach erfolgreichem Abschluss der Grundschule besucht er die allgemeine höhere Schule (High school) in Tabaco, 25 km von seinem Elternhaus entfernt. Da dies auf die Dauer zu teuer wurde, suchte er sich Arbeit in einer Wäscherei und finanzierte damit seine Schulmaterialien und eine kleine Unterkunft in Tabaco. Außerdem kümmerte er sich noch um 300 schuleigene Hühner und 5 Mastschweine. Er engagierte sich in dem schuleigenen Sportclub und nahm an vormilitärischen Trainingsmaßnahmen teil. Hierbei entwickelte sich der Wunsch, eine militärische Karriere einzuschlagen. Im Folgenden erlebt er den Ausbruch des Koreakrieges im Jahr 1949 und die indirekte Einbeziehung der Philippinen in diese Entwicklung. 7.500 philippinische Soldaten nehmen auf Seiten von Südkorea und den USA an Kampfhandlungen teil. In vielen Diskussionen mit einem wesentlich älteren Klassenkamerad namens Francisco (35) lernt Ka Bel zu begreifen, welche Rolle die jeweiligen Kriegsparteien spielen, welche Interessen sie dabei verfolgen. Er versteht den imperialistischen Charakter des von den USA vom Zaum gebrochenen Kriegs und entwickelt dazu einen klaren anti-imperialistischen Standpunkt. Er verarbeitet auch die formale Unabhängigkeitserklärung der Philippinen von den USA am 4. Juli 1946. Zwei Tage vor dieser Unabhängigkeitserklärung wird der sog. Bell Trade Act vom philippinischen Kongress ratifiziert. Dies geschah im Gegenzug zu einer 800 Millionen Dollar-Zahlung der USA an die Philippinen für Wiederaufbaumaßnahmen nach den Zerstörungen des II. Weltkrieges. Dieses Handelsgesetz machte die Philippinen abhängig von der US-amerikanischen Wirtschaft. Die philippinische Währung wurde an den Kurs des Dollars gebunden. Später wurde dieses Gesetz durch die Laurel-Langley Vereinbarung ersetzt, mit der diese neokoloniale Abhängigkeit ausgeweitet wurde. Ka Bel setzte Hoffnungen in das philippinische Militär. Er wollte einen Beitrag leisten, um es zu einer wahrhaft patriotischen Kraft zu entwickeln, die das philippinische Volk gegen ausländische Aggressoren und innere Verräter verteidigen sollte, und so nahm er an Eintrittsseminaren der Philippinischen Militärakademie teil. Da er jedoch ¾ Inch (ein Inch entspricht 2,54 cm) zu klein war, wurde er nicht genommen.

So nimmt er nach Abschluss der High School eine Arbeit als Tankwart in einer Tankstelle auf. Doch er füllt nicht nur das Benzin ein. Er lernt schnell, reinigt und wäscht Autos und Lastwägen. In dieser Zeit lebt er in Tondo, Manilas ärmstem Stadtteil, einem Ort der Verwahrlosung, der Kriminalität und der städtischen Armut einerseits, andererseits der Geburtsstätte von vielen großen philippinischen Revolutionären, u.a. auch des proletarischen Revolutionäres Andreas Bonifacio, dem Gründer von Katipunan (einer Guerilla-Armee, die gegen die spanische Kolonialisatoren kämpfte). Hier macht er leidvolle Erfahrungen mit Führern von Straßengangs, gegen die er sich behaupten muss.

Mit 22 Jahren wird er Taxifahrer, organisiert sich gewerkschaftlich und beteiligt sich im April 1955 an seinem ersten Streik. Die Gewerkschaft der Taxifahrer verlangt einen höheren Anteil an den Fahrerlösen. Das Management verweigert diese Erhöhung und versucht mit einem brutalen Einsatz der Polizei, bei dem durch Gewehrschüsse drei Streikende getötet werden. den Willen der Streikenden zu brechen. Das gelingt ihm nicht und nach einem Jahr Auseinandersetzung wird der Streik mit einem großen Erfolg beendet. Die harten Erfahrungen wecken und stärken das Klassenbewusstsein von Crispin. Die Gewerkschaft geht gestärkt aus dem Konflikt hervor und Crispin wird bei den nächsten örtlichen Wahlen zum Präsident der Taxifahrergewerkschaft gewählt.

Auch das Liebesleben von Crispin wird in diesem Buch behandelt. Am 10. November 1956 lernt er die 15-jährige Rosario Soto, genannt Osang, kennen und heiratet sie kurze Zeit später. Osang hatte noch keine Erfahrungen in der Führung eines Haushaltes, was ihr dann Crispin geduldig beibrachte. Die Kapitel dazu in dem Buch lesen sich sehr vergnüglich wie so manche andere Episoden ebenfalls, die darin geschildert werden. So auch die Schilderung seines Fehltritts, bei dem er durch eine gewonnene Wette in einem Biergarten ein Barmädchen kennen lernt. Aus einem für ihn harmlos empfundenen Flirt wird eine Verführung und die junge Frau wird schwanger. Wie das Ganze ans Tageslicht kommt und wie sich die Geschichte entwickelt, wie sich Osang damit auseinandersetzt usw., sei hier nicht verraten. Das muss man schon selber nachlesen.

Crispin ist bei seinen Kollegen/innen sehr beliebt, aber umso mehr aufgrund seiner erfolgreichen Gewerkschaftsaktivitäten beim Management verhasst. Mit einem raffiniert eingefädelten Manöver gelingt es ihnen, Crispin unter einem erfundenen Vorwand zu feuern. Doch die Antwort der Arbeiter lässt nicht lange auf sich warten. Schon am nächsten Tag beginnen die Taxifahrer einen Streik und fordern seine sofortige Wiedereinstellung. Trotz zwei Jahren hartnäckigen Kampfes, der auch juristisch durchgefochten wird, verliert Crispin diese Auseinandersetzung. Das Gericht bestätigt die Entscheidung des Managements und spricht ihm lediglich eine Abfindungszahlung zu.

Im Weiteren schildert das Buch das Leben von Ka Bel als Gewerkschaftsorganizer, die Weiterentwicklung seines Klassenbewusstseins durch Schulung und Bildungsarbeit in enger Durchdringung mit seinen praktischen Erfahrungen. Wichtig dabei sind seine persönlichen Bekanntschaften mit bedeutenden Gewerkschafts- und Arbeiterführern, so z.B. dem Arbeiterveteran und Teilnehmer am Befreiungskampf gegen die japanischen Invasoren, Cesar Lacara. Dieser 65-jährige Mann gab ihm auf die Frage, wie er ein guter Gewerkschafter sein kann, folgende Antwort: „Arbeite hart und diszipliniert. Organisiere die Arbeiter. Frage sie und lerne von ihren Forderungen. Kämpfe für ihre Rechte. Führe sie, aber übernehme sie nicht. Wenn sie streiken wollen, helfen ihnen dabei. Lasse sie nicht hängen. Wenn sie verlieren, helfe ihnen, sich zu erholen. Wenn sie einen weiteren Streik beginnen können, stelle Dich vorne dran.“ (S. 81 in „Ka Bel“) Von Lacara bekam Crispin auch seinen Namen, mit dem er national und international bekannt wurde: Ka Bel. Bel ist ein Teil seines Nachnamens Beltran und Ka bedeutet, dass „Du ein Freund, Kamerad, Genosse aller Unterdrückten bist.“ (a.a.o., S. 82) In diesem Kapitel gibt es auch einen für mich wichtigen Schlüsselsatz, um die Grundhaltung von Ka Bel zu begreifen. „Der Weg, den er für sich fühlte, als er in seiner Kindheit Gefühle gegen die japanischen Okkupationstruppen entwickelte ist der selbe, den er bei seinen Gefühlen gegen unterdrückerische Arbeitgeber und ausbeuterische Kapitalisten wahrnahm. Er fühlte, dass er seinen Teil im Kampf gegen die Unterdrückung und Ausbeutung, die den Arbeitern zugemutet wurde, wahrnehmen muss. Es tat ihm weh, dass er nicht in der Lage war, die Armut seiner Familie zu beheben, aber er fühlte, dass er die Pflicht hatte, den Arbeitern zu helfen.“ (a.a.o., S. 81)

Ina Silverio behandelt ausführlich die Zeit des Kriegsrechts ab dem 21. September 1972. Sie schildert darin die Rolle von Bert Olalia, besser bekannt als Ka Bert, dem ersten Vorsitzenden der KMU, die am 1. Mai 1980 gegründet wurde, seine persönliche Bekanntschaft mit Ka Bel usw. . Die KMU fordert im Januar 1981 die Aufhebung des Kriegsrechts und initiiert überall im Land Protestaktivitäten. Alleine am 1. Mai 1981 nehmen 40.000 Arbeiter an Demonstrationen in Metro Manila und weitere 100.000 in verschiedenen Städten und Provinzen im ganzen Land teil. Am 13. August 1982 wird Ka Bert, inzwischen 78 Jahre alt, vom Marcos Regime verhaftet und ins Gefängnis Camp Crame gesteckt und vier Tage später auch Ka Bel. In der Gerichtsverhandlung im Obersten Gerichtshof spricht Ka Bel dann u.a. seine berühmt gewordenen Sätze aus, die auch auf seiner Grabplatte zu lesen sind: „If helping the poor is a crime, and fighting for freedom ist rebellion, then I am guilty as charged.“ (Wenn es ein Verbrechen ist, den Armen zu helfen und Rebellion, für Freiheit zu kämpfen, dann bin ich schuldig im Sinne der Anklage.). Silverio schildert die brutale Unterdrückung während der faschistischen Marcos-Diktatur und den Sturz dieses Despotenregimes durch die Massen (sog. People Power I). Während eines erlaubten Besuches bei seinem neugeborenen Neffen gelingt es Ka Bel seinen Bewachern zu entfliehen. Er geht in den Untergrund, wo er von der NPA (Neue Volksarmee) aufgenommen wird.

Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur am 25.02.1986 erklärt die neue Präsidentin Corazon Aquino eine Amnestie für alle politischen Gefangenen der Diktatur. So konnte Ka Bel auch ab sofort seine legale Arbeit in der KMU wieder aufnehmen. Nach dem Tod von Ka Bert wurde sein Sohn Ka Lando Vorsitzender der KMU und nach dessen Ermordung Ka Bel. An der Beerdigung bzw. dem Trauermarsch für Ka Lando, der 12 Stunden dauerte, nahmen bis zu 1 Million Menschen teil. Ka Bel wurde bis 2003 immer wieder als Vorsitzender der KMU gewählt. 1985 wurde er Mitglied des nationalen Rates der breiten Volksorganisation BAYAN, von 1993 bis 1999 war er ihr Vorsitzender. Ka Bel führte die KMU bei vielen Kämpfen, in den Streikpostenlinien, auf den Straßen und bei Verhandlungsgesprächen der Gewerkschaft.

Das Buch behandelt auch die Arbeit von Ka Bel als Kongressabgeordneter, zunächst für die Parteiliste Bayan Muna von 2001 bis 2003, dann für die Parteiliste Anakpawis. Er erhielt sowohl bei den Wahlen von 2004 als auch 2007 ein Kongressmandat. Hier entwickelte er eine Fülle von Gesetzesvorlagen und Resolutionen im Sinne der nationalen Unabhängigkeit und Demokratie.

Nachdem die Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, die nach dem Sturz ihres Vorgängers, Joseph Estrada, an die Regierung gekommen war, am 24.02.2006 den nationalen Notstand verkündete, wurde Ka Bel am folgenden Tag mit gefälschten Anklagen, die sie aus der Mottenkíste der Marcos-Diktatur gezogen hatte, inhaftiert. Bereits am 6. März 2006 gründeten verschiedene fortschrittliche Gruppen und Gewerkschaften die „Freiheit für Ka Bel Bewegung“. In den Philippinen und auf der ganzen Welt entwickelten sich Solidaritätsaktionen, die schließlich im Juli 2007 seine Freilassung erreichte. Es sei hier nur am Rande daran erinnert, dass im Rahmen der internationalen Proteste auch die Deutsch-Philippinischen Freunde e.V., die türkische Organisation ATIK und die MLPD eine Protestaktion vor dem philippinischen Konsulat in Bonn durchgeführt hat.

Nach seiner Freilassung nahm Ka Bel sofort seine Arbeit im Kongress wieder auf, bis es dann am 20. Mai 2007 zu dem tragischen Unglück kam, bei dem er bei Reparaturarbeiten auf dem Dach seines Hauses abstürzte und von dessen Folgen er sich nicht mehr erholte.

 

Ein Mitglied der Deutsch-Philippinischen Freunde e.V. aus Heidelberg