Junge Welt – Rainer Werning – Der gute Wille der Rebellen

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

Ausgabe vom 18.06.2015, Seite 6 / Ausland

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Philippinen: Während Friedensverhandlungen übergab die Moro

Islamische Befreiungsfront erste Waffen

 

Von Rainer Werning

Der MILF-Vorsitzende Al-Haj Murad Ebrahim (mit Waffe) und der philippinische Präsident Benigno S. Aquino III. (linksaußen) am Dienstag bei der Waffenübergabe der Rebellen

Foto: Romeo Ranoco/Reuters

 

Welch ein Kontrast! Vom »totalen Krieg« zum »totalen Frieden«? Vor 15

Jahren befahl der damalige philippinische Präsident Joseph E. Estrada ein martialisches Vorgehen gegen die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) und drohte ihren Kämpfern, sie – so wörtlich – »zu Asche zu pulverisieren«. Mitte Juli 2000 schickte Estrada dann Eliteeinheiten der Streitkräfte (AFP) gegen Camp Abubakar, das Hauptquartier der MILF. Die machten in der Endoffensive des »totalen Krieges« auch zahlreiche Häuser, Schulen und Moscheen dem Erdboden gleich. Unvergesslich die Bilder, da der Präsident in Kampfuniform, gleichzeitig Oberbefehlshaber der AFP, zusammen mit Soldaten auf den Trümmern zerschossener Gebäude ausgelassen feierte – inklusive herbeigeschafftem Bier und Whisky sowie geschmortem Schweinefleisch.

Am Dienstag dieser Woche nun erschien der seit Sommer 2010 amtierende

philippinische Präsident Benigno S. Aquino III. auf der südlichen Insel Mindanao, um mit dem MILF-Vorsitzenden, Al-Haj Murad Ebrahim, und dem

MILF-Chefunterhändler bei den laufenden Friedensgesprächen mit der

Regierung in Manila, Mohagher Iqbal, Hände zu schütteln und

Freundlichkeiten auszutauschen. Der Anlass: Im jetzigen Hauptquartier der MILF, im Camp Darapanan in der Provinz Sultan Kudarat, begann die erste zeremonielle Übergabe von 75 Handfeuerwaffen aus MILF-Beständen und die Ausmusterung von 145 ehemaligen Kombattanten der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte (BIAF), des bewaffneten Arms der MILF. General

Gregorio Pio Catapang jr., Generalstabschef der AFP, der ebenfalls

zugegen war, sprach von »einem historischen Ereignis«. Die 145 Exkämpfer

der BIAF erhielten nach ihrer Registrierung für den Eintritt ins zivile Leben von Regierungsvertretern jeweils 25.000 Peso (zirka 520 Euro) als Starthilfe in bar ausgezahlt sowie einen staatlichen Krankenversicherungsausweis.

 

»Was wir heute erleben«, sagte ein sichtlich gutgelaunter Aquino, »ist kein Spiel, auf das wir uns mit der MILF eingelassen haben. Es ist dies ein solider Beweis für die Ernsthaftigkeit der MILF, im Rahmen unserer gemeinsamen Friedensbemühungen den Pfad des bewaffneten Konflikts zu verlassen.« Und dann fügte der Präsident hinzu: »Mit der Übergabe ihrer Waffen haben die früheren Kämpfer der MILF ein unmissverständliches Zeichen gesetzt, als würden sie uns sagen: ›Seht her, Brüder, die Waffen, die wir einst zu unserer Verteidigung gebrauchten, benötigen wir nicht mehr. Wir trauen euch, nunmehr für unsere Sicherheit zu sorgen‹.« Manilas Chefunterhändlerin bei den Friedensgesprächen mit der MILF, Miriam Coronel-Ferrer, erklärte: »Obgleich wir heute ein zeremonielles Programm erleben, signalisiert dieses jedoch, wie weit der Prozess gediehen ist, gemeinsam die Herzen und Hirne der Menschen auf Frieden einzustimmen.«

 

»Ernsthaftigkeit« und »Goodwill« waren denn auch die meistgebrauchten

Worte während der Feierlichkeiten am Dienstag. Denn seit Jahresbeginn

hatten immer wieder Politiker im fernen Manila bezweifelt, ob die MILF-Führung nach jahrelangen Verhandlungen mit der Regierung, die schließlich Ende März 2014 in einen Friedensvertrag gipfelten, überhaupt glaubwürdig sei. Ausschlaggebend für diese Sicht waren Ereignisse am 25. Januar dieses Jahres. An jenem »Blutsonntag« war eine Kommandoaktion der Special Action Force (SAF) der Philippinischen Nationalpolizei zur Ergreifung dreier gesuchter Terroristen äußerst blutig verlaufen, wobei unter anderem 44 Polizisten, die heute als »nationale Helden« verehrt werden, ums Leben kamen. Von einem »Massaker« war die Rede, was die MILF scharf zurückwies. Statt dessen sprach sie von Notwehr, weil die SAF als erste das Feuer eröffnet habe.

 

Erstaunlich und riskant zugleich ist, dass die MILF-Führung diese erste

Waffenübergabe und Ausmusterung zu einer Zeit vollzieht, da nicht einmal

das Kernstück des mit Manila ausgehandelten Friedensvertrags, das sogenannte Bangsamoro Basic Law (Grundgesetz, BBL), unter Dach und Fach

ist. Über das BBL soll erst wieder ab Ende Juli verhandelt werden, wenn die Sommerpause der Kongressabgeordneten endet. #