Süßer Sieg: José Maria Sison, Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen, nach sieben Jahren von der EU-Terrorliste gestrichen

Von Rainer Werning
In seinem Urteil vom 30. September entschied das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ECFI) in Luxemburg, den seit 1987 imniederländischen Utrecht im Exil lebenden Filipino José Maria Sison endgültigvon der EU-Terrorliste zu streichen. Auf diese Liste war „Joma“, wie Sison von Freunden genannt wird, unversehens am 28. Oktober 2002 auf Antrag der Niederlande
vom EU-Ministerrat gesetzt worden. Dieser zieh Sison der
Führerschaft der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und ihrer Guerillaorganisation, der Neuen Volksarmee (NPA), und machte ihn fürAuftragsmorde an Ex-Genossen in den Philippinen verantwortlich. Die Richter des ECFI begründeten ihr Urteil damit, es sei nicht bewiesen, dass der Angeklagte in terroristische Aktivitäten verwickelt ist, und seine Listung genügte
nicht den Anforderungen von EU-Richtlinien. Auch hätten unter anderem dieKonten Sisons nicht eingefroren werden dürfen, solange der Inhaber nicht rechtskräftig wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt oder zumindest kein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist.
Für den im Februar 70 Jahre alt gewordenen Sison war dieser Urteilsspruch
aus Luxemburg ein spätes Geburtstagsgeschenk der besonderen Art. In seiner
ersten Stellungnahme aus dem niederländischen Utrecht zeigte er sich hoch
erfreut, nach sieben Jahren kafkaesker Behandlung durch Behörden,
politischer Stigmatisierung, sozialer Ächtung und finanzieller Ruinierung endlich
wieder ohne psychischen Dauerdruck leben zu können: „Hauptpunkt in meinem
Verfahren gegen den EU-Ministerrat war die Streichung meines Namens von
dieser unsäglichen Liste.“ Sisons belgischer Chefanwalt, Jan Fermon, kündigte
unmittelbar nach dem Urteilsspruch an, die Konsequenzen dieser „modernen
Inquisition“ zu beenden. Sein Mandant, so Fermon, sei einzig aufgrund von
Verdachtsmomenten von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrates
auf die Terrorliste gelangt. Mit der fatalen Folge, dass ihm die niederländische
Regierung seit Oktober 2002 die Sozialhilfe sowie die Kranken- und
Rentenversicherung strich, seine Konten sperren ließ und es Sisons
Handelspartnern bei Strafandrohung untersagte, mit ihm Verträge zu schließen
oder erbrachte Leistungen an ihn auszuzahlen. Außerdem unterlag er strikten
Reisebeschränkungen. In jenen Herbsttagen sollte der ü
ber Nacht zur
Unperson gestempelte Sison
sogar aus dem Haus ausziehen, in dem er und
seine Familie in einer Sozialwohnung leben. Einzig aus humanitären Gründen
durfte er schließlich dort wohnen bleiben. „Wir werden alles daran setzen“, sagt
Fermon, „dass der Schaden, der Herrn Sison über all die Jahre entstanden ist,
voll ersetzt, ihm Schmerzensgeld gezahlt und seine Reputation
wiederhergestellt wird.“
Notorisch angefeindeter „ideeller Gesamtterrorist“
Kein lebender Filipino genoss in den vergangenen vier Jahrzehnten eine
solche Publicity und sah sich einer solchen Vielzahl von Prozessen ausgesetzt
wie José Maria Sison. In den Augen seiner weltweit zahlreichen Bewunderer
zählt er zu den herausragenden Marxisten des 20. Jahrhunderts. Für seine
Feinde, und davon gibt es reichlich, verkörpert er das Böse schlechthin. Was
den Herrschenden diesseits und jenseits seiner Heimat ein Dorn im Auge ist,
ist Sisons Beharrlichkeit, sich bis heute offen zum Kommunismus und zur
Revolution zu bekennen. Bereits im November 1964 zählte der damals 25-
Jährige zu den Mitbegründern der Kabataang Makabayan (Patriotischen
Jugend), die die Phalanx der fortschrittlichen Jugendorganisationen in den
Philippinen bildete. Ende 1968, auf dem Höhepunkt der im nördlichen
Nachbarland China geführten
Großen Proletarischen Kulturrevolution” und der
US-amerikanischen Aggression gegen Vietnam, avancierte Sison zum
Gründungsvorsitzenden der auf marxistisch-leninistisch-maoistischer
Grundlage reorganisierten CPP. Als er Ende März 1969 auch noch zu den
Mitinitiatoren der NPA, des bewaffneten Arms der CPP, gehörte, war er quasi
über Nacht zur meistgesuchten Person der damaligen Marcos-Diktatur
geworden. Erst 1977 spürten dessen Häscher Sison auf und sperrten ihn bis
zum Fall des Diktators Ende Februar 1986 in Einzelhaft. Während dieser Zeit
wurde Sison gefoltert und blieb Monate lang an sein Bett gefesselt. Anfang
März 1986 begnadigte ihn die Marcos-Nachfolgerin, Präsidentin Corazon C.
Aquino.
Danach begann für Sison eine zeitgemäße Odyssee. Zunächst erhielt er einen
Lehrauftrag am Asian Studies Center der staatlichen University of the
Philippines.
Im September 1986 begann er eine Vortragsreise, die ihn nach
Ozeanien, Ost-, Südost- und Südasien und schließlich nach Europa führte.
In
seine Heimat konnte er nicht mehr zurückkehren, weil er dort zwischenzeitlich
auf Todeslisten stand und die philippinische Regierung ihm 1988 den Pass
entzog. Sison suchte in den Niederlanden um politisches Asyl nach, wo er seit
Jahren als Chefberater des von der CPP geführten Bündnisses, der Nationalen
Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), fungiert, die unter der
Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums bis 2004
Friedensverhandlungen mit der Regierung in Manila führte. Nach langwierigem
juristischen Tauziehen wurde er in Utrecht als eine Person anerkannt, die unter
Artikel
1 A der Flüchtlingskonvention fällt und durch Artikel 3 der Europäischen
Menschenrechtskonvention geschützt ist. Das niederländische
Justizministerium wurde angewiesen, ihm einen legalen Status als politischer
Flüchtling und eine Aufenthaltsberechtigung zu gewähren, wenn sich kein
anderes Land bereit erklärte, ihn aufzunehmen.
Am 13. August 2002 brandmarkten die niederländischen Behörden Sison als
„Terroristen“, just 24 Stunden nachdem die US-Regierung ihn zusammen mit
der CPP und der NPA auf die „Liste ausländischer terroristischer
Organisationen“ (FTO) gesetzt hatte. Seitdem die Bush-Administration nach
den Anschlägen vom 11. September 2001 den „Kampf gegen den weltweiten
Terror“ zu ihrer Hauptagenda erkoren hatte, galt Sison für die Regierungen in
Washington und Manila gleichermaßen als ausgemachter „Terrorist”. In
putativem Gehorsam gegenüber den USA und aufgrund massiver
Wirtschaftsinteressen in den Philippinen (die Niederlande sind der größte EU-
Handelspartner des Inselstaates) setzte sich schließlich auch Den Haag dafür
ein, Sison ein solches Etikett zu verpassen und ihn politisch zu neutralisieren.
Am 28. August 2007 sperrte man ihn nach einer Nacht-und-Nebel-Aktion ins
Staatsgefängnis von Scheveningen in Den Haag. Er sollte, so der Vorwurf, von
Utrecht aus die Ermordung zweier ehemals hochrangiger CPP-Genossen,
Romulo Kintanar und Arturo Tabara,
die später für den philippinischen
Militärgeheimdienst arbeiteten,
angeordnet haben. Sisons Festnahme erfolgte
zeitgleich mit der drakonischen Durchsuchung weiterer Privatwohnungen von
Filipinos, die seit Jahren die niederländische Staatsbürgerschaft besitzen.
Außerdem wurde das NDFP-Büro in Utrecht durchsucht, PCs und
umfangreiches Schriftmaterial
wurden konfisziert. Ein offensichtlich rein
politisch motivierter Akt; in Manila zeigten sich Präsidentin Gloria Macapagal-
Arroyo und die dortige US-Botschafterin Kristie Kenney öffentlich erfreut über
Sisons Festnahme.
Am 30. März 2008 wurde Sison jedoch mangels Beweisen
vom Vorwurf des Auftragmordes freigesprochen. Aus der Haft war er bereits
Wochen zuvor auf Intervention seiner Rechtsanwälte entlassen worden.
Ähnliche Anklagepunkte in den Philippinen hatte der Oberste Gerichtshof des
Landes – ebenfalls aus Mangel an Beweisen – letztlich fallen lassen müssen.
Bedenkt man, wie extrem schwierig es – zumal als Einzelperson – ist, jemals
wieder von einer Terrorliste gestrichen zu werden, bedeutet das Luxemburger
Urteil einen Sieg beharrlicher internationaler Solidarität für Sison und seines
hochkarätigen internationalen Rechtsbeistands. In den meisten Fällen sind es
vage geheimdienstliche Hinweise und vordemokratische Praktiken, die dazu
führten, dass Betroffene ohne Benachrichtigung, ohne Anklage und ohne
rechtliches Gehör plötzlich auf Schwarzen Listen der EU, UN und der USA
auftauchten. Der vom Europarat beauftragte Sonderermittler in Sachen illegaler
Aktivitäten des US-Geheimdienstes CIA und der Führung von Terrorlisten
seitens der EU und UN, der Schweizer Dick Marty, bezeichnete solches
Prozedere bereits Ende 2007 schlicht als „pervers“ und warf den
Verantwortlichen Willkür vor. Ein Serienkiller, so Marty, genieße mehr Rechte
als ein Mensch, der auf einer Terrorliste steht.
Der Autor veröffentlichte gemeinsam mit J. M. Sison das Buch „Die philippinische
Revolution – Eine Innenansicht“ (Köln 1988; 2. Aufl.: Essen 1993).
Zum Hintergrund und über die aktuellen Entwicklungen siehe:
1)
Die Website des
International DEFEND Committee
:
www.defendsison.be
;
2)
European Union-Factsheet,
The EU List of persons, groups and
entities subject to specific measures to combat terrorism
, Bruxelles, July 15, 2008;
3)
Birgit Kruse,
‚Zivile Todesstrafe’ – Dick-Marty-Bericht zu Terrorlisten
, in: Süddeutsche
Zeitung, München, 12.11.2007 &
4)
Rolf Gössner,
EU-Terrorliste: Feindstrafrecht auf Europäisch
, in: Blätter für deutsche und
internationale Politik, Berlin, März 2009, S. 13-16. #