Junge Welt – Rainer Werning – Der große Nivellierer

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

Ausgabe vom 15.04.2016, Seite 16 / Sport

 

Schlagkräftig, bibelfest, homophob: Der philippinische Superstar Manny Pacquiao will nach seinem letzten Boxkampf in die Politik

 

Von Rainer Werning, Manila

 

Was für ein Abschluss: Der 58. Sieg im 66. Profiboxkampf des quirligen »Pacman« (l.) gegen Timothy Bradley in Las Vegas

Foto: Mark J. Rebilas-USA TODAY Sports /reuters

 

Der 37jährige Filipino Manny Pacquiao zeigte am vergangenen Wochenende noch einmal, was er draufhat. In der ausverkauften »MGM Grand Garden Arena« in Las Vegas gewann er seinen nach eigenem Bekunden letzten Boxkampf einstimmig nach Punkten. Er hatte den US-Amerikaner Timothy Bradley in der siebten und in der neunten Runde mit Kombinationstreffern am Kopf zu Boden geschickt. Der 58. Sieg im 66. Profiboxkampf des quirligen »Pacman« war der krönende Abschluss einer einzigartigen Karriere. Der 1,69-Meter-Mann gewann Weltmeistertitel in sage und

schreibe acht Gewichtsklassen, zuletzt im Weltergewicht – der Rekord dürfte schwerlich zu toppen sein.

 

Die Fachwelt feierte des »Pacmans« Faustkämpfe als »virtuos wie elegant«. Er schlug präzise und mit zerstörerischem Punch. Boxexperte Jean-Marcel Nartz bescheinigte ihm vor einigen Jahren »eine Filigrantechnik vom Allerfeinsten. Es ist einfach eine Augenweide, ihm zuzuschauen. Der Mann kann einfach boxen«. (Kölner Stadt-Anzeiger, 7./8. Mai 2011)

Seine Kindheit verbrachte Pacquiao in General Santos auf Mindanao, einer der politisch instabilsten Inseln im Süden der Philippinen. Dort reichte es für ihn nur zum Besuch der Volksschule. Er half der Mutter dabei, Geld zu verdienen. Er verkaufte auf der Straße Brot und Donuts, war ihr bei ihrer Arbeit als Wäscherin behilflich. Wann immer sich für den Jungen Gelegenheit bot, frönte er in öffentlichen Turnhallen seiner früh

verspürten Passion, dem Boxen. Mit 14 schlug er sich nach Manila durch, arbeitete zeitweilig am Bau und machte in Amateurboxschulen auf sich aufmerksam, weil er nach Aussagen enger Freunde »wie ein verrückter Hund« kämpfte. Seine Verbissenheit ließ nicht nur die heimische Boxfachwelt aufhorchen, sondern weckte bald auch das Interesse internationaler Promoter. Erst recht, als Freddie Roach sein Trainer wurde und ihn lehrte, ästhetische Feinheiten mit Schnelligkeit und

Schlagkraft zu kombinieren.

 

Bob Arum, mit 84 Jahren eine Legende unter den Boxpromotern, hat die Karriere Pacquiaos hautnah miterlebt. Vor dem Kampf gegen Bradley am Wochenende sprach Arum von einer »Riesenstory« in der Geschichte des Sports. Wie »Pacman« sich aus Armut und Elend herausboxte, ist auch in Zahlen spektakulär. Verdiente er bei seinem ersten größeren Fight auf der Insel Mindoro gerade mal 1.000 Peso (nach heutigem Wechselkurs 20 Euro), so wird Pacquiaos Vermögen heute auf umgerechnet etwa 500

Millionen US-Dollar geschätzt. Einen Großteil davon verdiente er im vergangenen Jahr, als sein »Jahrhundertfight« gegen den ungeschlagenen Weltergewichtsboxer Floyd Mayweather jr. Anfang Mai stolze 300 Millionen Dollar in die Kassen der Veranstalter spülte. Zum Verdruss vieler Fans musste »Pacman« nach der Niederlage zugeben, nicht ganz fit gewesen zu sein und unter Schulterproblemen gelitten zu haben.

 

Fabelhafte Börsen ließen »Pacman« zur öffentlichen Person werden, deren schwache Momente Stoff für reißerische Geschichten lieferten. Von Nachtklubbesuchen, Alkoholkonsum und Spielleidenschaft war die Rede. Der in immer höheren Gewichtsklassen siegreiche Pacquiao konterte die Vorwürfe, indem er bis dahin unbekannte Seiten präsentierte. Er zeigte sich freigiebig gegenüber einer wachsenden Schar von Freunden und »Verwandten«, wurde zunehmend religiös, gar »Bibel-Botschafter« und hatte politische Ambitionen. 2010 zog er schließlich als Abgeordneter

seiner Heimatprovinz Sarangani in den philippinischen Kongress ein. Und seine Chancen stehen nicht schlecht, bei den am 9. Mai stattfindenden allgemeinen Wahlen einer von 24 Senatoren seines Landes zu werden.

 

Sollte dieser politische Erfolg dem »Pacman« wider Erwarten verwehrt bleiben, so wäre das seiner unerschütterlichen Bibelfestigkeit geschuldet. Im 3. Buch Mose (Levitikus), Kapitel 20, Vers 13, heißt es: »Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben; ihr Blut sei auf ihnen.« Im Februar, mitten im Wahlkampf, sagte Pacquiao zum Entsetzen seiner Fangemeinde im lokalen SenderTV5, dass Homosexuelle »schlimmer als

Tiere sind. Die Tiere sind besser. Sie kennen den Unterschied zwischen männlich und weiblich«. Wenig später rechtfertigte er sich mit der Bemerkung: »Was ich sage, ist richtig. Ich sage einfach nur die Wahrheit – das, was in der Bibel steht.« Umgehend kündigte der Sportartikelhersteller Nike seinen Vertrag mit dem Boxer. »Wir empfinden

die Kommentare als abscheulich«, hieß es in einer Erklärung. Pacquiaos Beleidigungen sorgten bei Menschenrechtlern und homosexuellen Persönlichkeiten in den Philippinen wie im Ausland für Entrüstung.

 

Für die Massen in seinem Heimatland, von denen ein Großteil im irdischen Jammertal sitzt, bleibt der »Pacman« als Multi-Tasking-Messias gleichwohl unschlagbar. Er ist Volksheld, Wohltäter, Show- und Filmstar, regelmäßiger Kirchgänger, (Karaoke-)Sänger, TV-Moderator, Politiker und (reichster) Kongressabgeordneter in einer Person. Er war der große gesellschaftliche Nivellierer; Arme und Reiche, Gauner und

Gottesfürchtige waren gleich und vereint, wenn Manny mal wieder einen glanzvollen Auftritt in Las Vegas hatte. Wenn »Pacmans« Kämpfe im Fernsehen übertragen wurden, kehrten in seiner fernen Heimat Frieden, Eintracht, Menschenliebe und Gesetzestreue ein. Um ja nichts zu verpassen, kletterten Kriminelle nicht über Gefängnismauern. Richter, Staatsanwälte, Politiker und Kommissköppe, die sich alltäglich durch Fehlurteile, Fehlgriffe beziehungsweise Militäraktionen zum Schutz und

Wohle korrupter Eliten gegen das Volk versündigen, hielten inne, solange des »Pacmans« Fäuste flogen, und richteten zumindest in diesen Stunden keinen weiteren Schaden an. Selbst die kommunistische NPA-Guerilla wahrte im Kampf gegen die Regierungssoldaten eine strikte Waffenruhe, solange Pacquiao im Ring stand.

 

Allen, die an ein Leben vor dem Tode glauben, bleibt die Hoffnung, dass der »Pacman« sein Versprechen bricht und um des lieben Friedens willen weiter in den Boxring steigt. #