Junge Welt – Rainer Werning – »Die Chancen für den Friedensprozess sind sehr gut«

20.05.2016 / Ausland / Seite 8

Im Juni beginnt die Amtszeit des neugewählten philippinischen Präsidenten. Gespräch mit José Maria Sison

Von Rainer Werning

Ende Juni wird voraussichtlich die Amtszeit des soeben gewählten Rodrigo R. Duterte als Präsident der Philippinen beginnen. Bedeutet dies Ihrer Meinung nach im Vergleich zu seinen Vorgängern einen einschneidenden Wandel für das Land?

Bedeutsame und weitreichende Veränderungen könnte es während Dutertes Amtszeit geben, wenn er tatsächlich seiner selbsterklärten Rolle als erster linker Präsident der Philippinen gerecht wird. Also wenn er mit den antiimperialistischen und demokratischen Kräften im Lande kooperiert, wenn er dazu beiträgt, die Massen zu mobilisieren, ihre demokratische Macht auszuüben, die nationale Souveränität zu wahren, soziale Gerechtigkeit herzustellen und die Wirtschaft mittels einer genuinen Landreform und durch nationale Industrialisierung zu entwickeln.

Er würde gewiss Lob ernten, wenn es ihm gelingt, den kriminellen Syndikaten im Lande den Garaus zu machen und die für öffentliche Plündereien verantwortlichen korrupten Staatsbediensteten hinter Gitter zu bringen. Ihm würde auch großer Applaus entgegenhallen, wenn er den noch amtierenden Präsidenten Benigno »Noynoy« Aquino, seinen Budgetminister Florencio »Butch« Abad und andere Plünderer binnen eines Jahres ins Gefängnis befördert. Größte Unterstützung genösse Duterte, wenn er mit der Nationalen Demokratischen Front, NDFP, umfangreiche Friedensvereinbarungen unterzeichnet und auf diese Weise signalisiert, eine Regierung der nationalen Einheit, des Friedens und der Entwicklung zu begründen.

Nun hat der designierte Präsident der NDFP und der Kommunistischen Partei der Philippinen CPP insgesamt vier Kabinettsposten angeboten. Würden Sie ein solches Angebot akzeptieren?

Kein Offizieller, kein Mitglied und kein Experte der CPP und anderer Organisationen der NDFP kann einen Posten in der Duterte-Regierung akzeptieren, solange nicht die Friedensverhandlungen erfolgreich und glücklich unter Dach und Fach gebracht worden sind. Nach Unterzeichnung des gegenseitigen Waffenstillstandsabkommens können sehr wohl hochqualifizierte Personen aus dem Spektrum der legalen demokratischen Kräfte ermutigt werden, in die Regierung unter Duterte einzutreten und darin einen Posten anzunehmen, um so die Friedensverhandlungen tatkräftig zu unterstützen.

Wie weit sind diese fortgeschritten? Und sollte es nicht – sozusagen als eine bedeutsame Geste des guten Willens – seitens des neuen Präsidenten darum gehen, alle politischen Gefangenen auf freien Fuß zu setzen?

Die Chancen für den weiteren Friedensprozess sind sehr gut, zumal sowohl Präsident Duterte als auch die NDFP gleichermaßen über die von Aquino und seiner Beauftragten für den Friedensprozess, Teresita Quintos Deles, verfolgte Sabotagehaltung empört sind. Alle politischen Gefangenen sollten im Sinne des bereits unterzeichneten Umfassenden Abkommens zur Wahrung der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Rechts, CARHRIHL, sowie des Gemeinsamen Abkommens über Sicherheits- und Immunitätsgarantien, JASIG, aus den Gefängnissen entlassen werden.

Was müsste geschehen, damit der bewaffnete Kampf nicht länger als Option gilt?

Die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes erlischt, sobald die umfassenden Abkommen über soziale und wirtschaftliche Reformen, über politische und konstitutionelle Reformen einvernehmlich akzeptiert sind. Außerdem muss, auch das in beiderseitigem Interesse, sichergestellt sein, dass die Einheiten jeweils ihre Waffen wirklich niederlegen.

Sie haben knapp die letzten 30 Jahre im Exil im niederländischen Utrecht verbracht. Duterte hat Sie nun eingeladen, wieder in Ihr Heimatland zurückzukehren. Unter welchen Umständen würden Sie diesen Schritt ernsthaft erwägen?

Eine Rückkehr kommt erst dann in Frage, wenn landesweit alle politischen Gefangenen freigelassen sind und das Abkommen über einen gegenseitigen Waffenstillstand zwischen der Regierung in Manila und der NDFP unterschriftsreif vorliegt. Für mich begänne dann die Zeit der großen Wiedersehensfeiern mit Freunden und Verwandten.

José Maria Sison ist Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und politischer Chefberater des linken Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front (NDFP). Seit fast 30 Jahren lebt er im Exil im niederländischen Utrecht.

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