Junge Welt – Rainer Werning – Spiel mit dem Feuer
Kriegsrecht in Philippinen gefährdet Friedensgespräche
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Tageszeitung junge Welt / Berlin
Gegründet 1947 – Dienstag, 30. Mai 2017, Nr. 124
Ausgabe vom 30.05.2017, Seite 7 / Ausland
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Kriegsrecht in Philippinen gefährdet Friedensgespräche
Von Rainer Werning
Armee zeigt Präsenz: Soldaten patrouillieren, nachdem das Kriegsrecht
ausgerufen wurde, durch die philippinische Stadt Marawi (25.5.2017)
Foto: REUTERS/Romeo Ranoco
Die Friedensverhandlungen zwischen der philippinischen Regierung und dem
linken Untergrundbündnis Nationale Demokratische Front der Philippinen (NDFP) liegen vorerst auf Eis. Der Grund ist das von Präsident Rodrigo
Duterte am 23. Mai über die südliche Region Mindanao und die Inseln
Basilan, Jolo und Tawi-Tawi verhängte Kriegsrecht.
Die Emissäre Manilas und der NDFP treffen sich seit Jahren unter der
Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums, um eine Lösung für
den knapp 50 Jahre dauernden bewaffneten Konflikt zu finden. Seit der
Wiederaufnahme der Gespräche unter dem neuen Präsidenten Duterte im
August 2016 gab es bislang vier Verhandlungsrunden in Oslo, Rom sowie im
holländischen Seebad Noordwijk aan Zee. Dort sollte vom 27. Mai bis zum
- Juni auch die fünfte Zusammenkunft beider Parteien stattfinden. Doch
der Termin platzte. Wesentlicher Streitpunkt: das zunächst für 60 Tage
ausgerufene Kriegsrecht.
Jesus Dureza, Dutertes Chefberater im Friedensprozess, erklärte am 27.
Mai gegenüber der Presse in Noordwijk, die NDFP solle zunächst für ein
Gesprächsklima sorgen, »das einen gerechten und tragfähigen landesweiten
Frieden am Verhandlungstisch überhaupt ermöglicht«. Sodann forderte er
die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und deren Neue Volksarmee (NPA), die beiden wichtigsten NDFP-Mitgliedsorganisationen, auf, jegliche Kampfhandlungen während der Dauer des Kriegsrechts zu unterlassen und unverzüglich ein Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen.
Fidel Agcaoili hingegen, Vorsitzender der NDFP-Delegation, erklärte am selben Tag in einer Presseerklärung, man sei nach Noordwijk gekommen, um dort vereinbarungsgemäß über den Entwurf des »Umfassenden Abkommens über sozioökonomische Reformen« (CASER) zu beraten. CASER ist für die NDFP das »Filetstück« der Verhandlungen, in dem es unter anderem um die
Verteilung von Land an Bauern und Pächter geht.
Agcaoili wies Durezas Forderungen als inakzeptables Ultimatum zurück und
betonte, dass die CPP-NPA als Folge der von den philippinischen Streitkräften (AFP) und der Nationalpolizei (PNP) vor und nach der Verhängung des Kriegsrechts intensivierten Aufstandsbekämpfung ihre Kämpfer in Alarmbereitschaft halten und notfalls zum »Schutz der Zivilbevölkerung taktische Offensiven durchführen« werden. In seiner Presseerklärung listete Agcaoili zudem mehrere Vorfälle auf, bei denen Zivilisten zu Schaden kamen. Demnach seien seit dem 24. Mai, dem Tag nach Verhängung des Kriegsrechts, hauptsächlich Bauern und Angehörige indigener Gemeinschaften von AFP-Einheiten auf Mindanao drangsaliert und vertrieben worden.
Während Dureza betonte, die AFP und PNP würden vorrangig im und um das
Krisenzentrum Marawi City in Zentralmindanao gegen die mit dem
»Islamischen Staat« liierten »Maute«- und Abu-Sayyaf-Milizen kämpfen,
hatte Verteidigungsminister Delfin Lorenzana zuvor erklärt, die NPA sei
sehr wohl auch ein Ziel von AFP-Operationen.
Selbst Duterte hatte noch Anfang Februar Lorenzana und seinen
Generalstabschef Eduardo Año angewiesen, im Rahmen des seit Januar
geltenden Aufstandsbekämpfungsplans »Operation Freiheit« gegen die NPA
»totalen Krieg« zu führen. Der Präsident stellt sich ausdrücklich hinter
seine Truppen, selbst wenn diese »im Kampf gegen den Terrorismus«
vergewaltigten, wie Duterte am 26. Mai in seiner Rede vor Offizieren und
Soldaten der 2. Mechanisierten Infanteriebrigade in Iligan City unweit von Marawi sagte.
Bislang haben sich neben der NDFP nur linke und fortschrittliche
Bürgerrechtsgruppen sowie zahlreiche zivilgesellschaftliche Kräfte in
Mindanao kritisch zu Wort gemeldet. Ein großer landesweiter Aufschrei
blieb aus. Die mächtige Katholische Bischofskonferenz des Landes, die
Opposition im Parlament und auch die sonst kritische Presse scheinen
abzuwarten und darauf zu spekulieren, dass Duterte die 60-Tage-Frist
auch einhält. #