Junge Welt – Rainer Werning – Innerkoreanischer Dialog
Tageszeitung junge Welt / Berlin
Gegründet 1947 – Mittwoch, 4. Oktober 2017, Nr. 231
Ausgabe vom 04.10.2017, Seite 6 / Ausland
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Vor einem Jahrzehnt gab es das letzte Signal zur Entspannung in Ostasien
Von Rainer Werning
Bild aus besseren Tagen:
Videosequenz mit Kim Jong Il und Kim Dae Jung
in einem Museum in Seoul (18.8.2009)
Foto: Jo Yong-Hak/Reuters
Das große Paradoxon in der jüngeren Geschichte Koreas besteht darin, dass der von 1998 bis 2008 in Seoul verfolgten »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden von der »Schutzmacht« USA in die Parade gefahren wurde. Und die beiden darauffolgenden stockkonservativen südkoreanischen Regime im Schatten von US-Präsident Barack Obamas »strategischer Geduld« auf schroffe Konfrontation mit Pjöngjang setzten. Südkoreas neuer Präsident Moon Jae In favorisiert erneut den Dialog mit dem Norden – zum Entsetzen von US-Hardlinern in Washington. Bringt Donald Trumps Politik womöglich beide koreanische Regierungen gegen sich auf? Wenigstens das wäre beruhigend und ein Teilerfolg.
Am 13. Juni 2000 genoss die nordkoreanische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae Jung und Kim Jong Il, per Handschlag Freundlichkeiten austauschten. Am 15. Juni 2000 vereinbarten beide Staatsmänner die historische Nord-Süd-Deklaration. Neben Familienzusammenführung und Besuchsprogrammen sah diese auch eine engere Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor.
Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft der beiden mächtigsten
Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae Jungs im
Februar 1998, der eine »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden
verkündete. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung –
lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae Jung
ausdrücklich auf Willy Brandts frühere »Ostpolitik«, wenngleich er die
Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt. Die Nord-Süd-Verständigung fand weltweit breite Unterstützung. Dafür erhielt der südkoreanische Präsident im Dezember 2000 sogar den Friedensnobelpreis.
Anlässlich des dritten Jahrestages der Unterzeichnung der Nord-Süd-Deklaration erklärte Kim Dae Jung im Sommer 2003, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, verfügte die Volksrepublik tatsächlich über solche, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal nachgerade wie »Spielzeuge« ausnähmen. Mitte Juni 2005 reisten anlässlich des fünften Jahrestages des ersten historischen innerkoreanischen Gipfels mehr als 300 südkoreanische Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam an dieses Ereignis zu erinnern.
Was zum Jahreswechsel 2000/01 auf einen Entspannungsprozess in Korea
hindeutete, geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush
vollends aus den Fugen. Der neue Chef im Weißen Haus nannte Nordkorea am 7. März 2001 unvermittelt einen »Bedrohungsfaktor in Ostasien«, mit dem
Gespräche und Sicherheitsgarantien im Zuge einer kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik ausgesetzt würden. Im selben Atemzug
stempelte er die »Sonnenscheinpolitik« als »naiv« ab und erklärte Nordkorea Ende Januar 2002 nebst Iran und Irak zur »Achse des Bösen«.
Um trotz gezielter Störattacken seitens der USA das Momentum der
»Sonnenscheinpolitik« zu wahren, kam es Anfang Oktober 2007 zu einem
zweiten Gipfeltreffen in Nordkoreas Hauptstadt. Beide Präsidenten, Kim
Jong Il und Roh Moo Hyun, unterzeichneten dort am 4. Oktober eine
Erklärung, in der sie zu Frieden, Wohlstand und zu einer engeren
Wirtschaftskooperation auf der Halbinsel aufriefen. In dieser Erklärung
bekräftigen Kim und Roh auch den geplanten Abbau des nordkoreanischen
Atomprogramms sowie die Einrichtung einer Friedenszone im Gelben Meer,
wo die Grenzlinie zwischen beiden Ländern noch strittig ist.
Nach 16jährigem »Krieg gegen den Terror« mit verheerenden »kollateralen
Schäden« wie Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Libyen folgt Nordkoreas Nomenklatur gemäß systemimmanenter Logik und sehr rational dem Kalkül: Wenn wir schon international nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden. #