Besetzt, belagert, zerstört und Probleme verdrängt

Manilas wechselvolle Geschichte seit 1898

 Von Rainer Werning

 „(…) so blieb uns nichts übrig, als die Filipinos zu erziehen, sie emporzuheben, zu zivilisieren und zu christianisieren und mit Gottes Gnade das Beste für sie zu tun wie für unsere Mitmenschen, für die Christus ebenso gestorben ist. Dann ging ich zu Bett und schlief ein und hatte einen gesunden Schlaf. Am nächsten Morgen ließ ich dann den Chefingenieur des Kriegsministeriums, unseren Kartographen, rufen und befahl ihm, die Philippinen auf die Landkarte der Vereinigten Staaten zu setzen, und dort sind sie, und dort werden sie bleiben, solange ich Präsident bin“.

— US-Präsident William McKinley im Sommer 1898 in einer Ansprache an eine Gruppe protestantischer Geistlicher – zit. nach: Weisberger, Bernard A. (1964): Reaching for Empire. New York: Time, 1964. (The Life history of the United States; Vol 8: 1890-1901, p. 138 f.)

 

Von allen Kriegshauptstädten [im Zweiten Weltkrieg; RW] erlitt nur Warschau höhere Schäden als Manila“.

— General Dwight D. Eisenhower, zit. nach: Smith, Robert A. (1958): Philippine Freedom 1946-1958. New York: Columbia University Press, p. 115.

 

– – – – – – – –

 

US-amerikanische Militärs betraten im Sommer 1898 ein unabhängiges Land, die erste freie Republik Asiens. Die Bevölkerung leistete auch den neuen Kolonialherren erbittert Widerstand. Um diesen zu brechen, begann die so genannte „Befriedung“: Die Folge war der Amerikanisch-Philippinische Krieg. Er begann Anfang Februar 1899 und endete nach der offiziellen Geschichtsschreibung dreieinhalb Jahre später. In dem bis dahin größten Kolonialmassaker in Südostasien wurde die damals gut sechs Millionen Menschen zählende Bevölkerung der Philippinen buchstäblich dezimiert. Erst 1935 verordnete Washington dem Land einen Commonwealth-Status, der nach einer Übergangszeit von zehn Jahren zur Unabhängigkeit führen sollte.

 

Doch bereits einen Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor, am 8. Dezember 1941, landeten Truppen der kaiserlich-japanischen Armee auf Mindanao und in Nordluzon. Wenig später fielen die ersten Bomben auf die Hauptstadt Manila, die am 2. Januar 1942 eingenommen wurde. Dort inthronisierte Tokio ein Jahr später ein Vasallenregime und erklärte das Land als „unabhängig“. Dr. José P. Laurel wurde Präsident, seine Amtszeit dauerte vom 14. Oktober 1943 bis zum 15. August 1945. Anerkannt war diese sogenannte Zweite Philippinische Republik außer von den Achsenmächten (Italien, Deutschland, Japan) nur noch von Spanien und dem Vatikan. Unter dem Kommando von General Wilhelm von Faupel, einem eingefleischten Gegner der Weimarer Republik und von Hitler zum Chef des Berliner Ibero-Amerika-Instituts erkoren, erfolgte Ende der 1930er Jahre die Gründung der „Falange Exterior“, die in den Philippinen als Fünfte Kolonne des verbündeten Japan agierte. Die Gestapo übernahm das Training dieser extrem rechten hispanophilen Elemente, die dann in der gesamten Spanisch sprechenden Welt – einschließlich der Philippinen – zu Sabotagezwecken gegen die Alliierten eingesetzt wurden. Andererseits war Manila neben Schanghai diejenige Stadt in Fernost, die bis Ende der 1930er Jahre die liberalste Einwanderungspolitik – vor allem vis-à-vis verfolgten Juden – praktizierte. Allein in den Philippinen konnten zwischen 1.200 und 1.300 vorwiegend aus Polen, Deutschland und Österreich stammende Juden den Nazischergen entkommen und in Manila und anderen philippinischen Städten ein neues Zuhause finden. Darunter auch der 1904 in Wien geborene Musiker und Dirigent Herbert Zipper, der das berühmte „Dachau-Lied“ komponierte und mithalf, das Manila Symphonieorchester aufzubauen. Zipper gelang auf abenteuerlichem Wege die Flucht aus den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald nach Manila. Sein Freund Jura Soyfer hingegen, der den Text des „Dachau-Lieds“ verfasst hatte, starb in Buchenwald an Typhus.

 

Um die Jahreswende 1944/45 rückte der Krieg immer näher an Manila. Es dauerte fast den gesamten Februar 1945, bis nach äußerst verlustreichen Straßenschlachten, in denen um jede Häuserzeile gekämpft wurde, die Entscheidungsschlacht in der Nähe des alten Stadtzentrums Intramuros ausgefochten wurde. Was später als „Befreiung“ Manilas gepriesen wurde, war ein Gemetzel, in dessen Verlauf binnen weniger Tage über 100.000 Zivilisten ihr Leben verloren. Um Washingtons Interessen auch nach Kriegsende zu wahren, setzte der „Amerikanische Cäsar“ Douglas MacArthur, wie William Manchester den Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Fernost im Titel seiner 1978 erschienenen MacArthur-Biografie (Boston) nannte, auf vormals lokale pro-japanische Elemente aus Politik und dem Polizeiapparat. Der Vorteil: Solche Leute ließen sich instrumentalisieren. Erster Präsident der am 4. Juli 1946 unabhängig gewordenen Republik der Philippinen wurde mit Manuel Roxas ein ehemaliger Brigadegeneral, der während der japanischen Okkupation ein hochrangiges Mitglied des Marionettenregimes und zuständig für das gewaltsame Eintreiben von Reisvorräten für die japanischen Truppen war.

 

20 Jahre später residierte mit Ferdinand E. Marcos ein Mann im Präsidentenpalast Malacanang, der auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges Washingtons engster Verbündeter in Südostasien war. Ihm verziehen die Regierungen in Washington nur zu gern, dass er im September 1972 das Kriegsrecht über die Inseln verhängte und bis zu seinem Sturz im Februar 1986 diktatorisch regierte. Ausgerechnet in den ersten Kriegsrechtsjahren entstand so etwas wie eine metropolitane Stadtplanung. Die Stadt bekam eine Metro Manila Commission, später eine Metropolitan Manila Development Authority (MMDA) und sie besteht als National Capital Region (NCR) seit November 1975 aus 17 Verwaltungseinheiten (Städten und Bezirken), die gegenwärtig zirka 15 Millionen Menschen zählt und sich über eine Fläche von knapp 640 Quadratkilometern erstreckt. Vorläufigen Berechnungen zufolge erreicht die Bevölkerung der NCR bis 2025 die 20-Millionen-Marke.

 

Während der Amtszeit von Präsident Fidel V. Ramos (1992-98), der Marcos als Kriegsrechtsverwalter und Polizeichef gedient hatte, erlebte das Land einen kräftigen Privatisierungsschub. Alles, was sich irgendwie versilbern ließ, wurde höchstbietend Kapitalgesellschaften im In- wie Ausland zum Verkauf angeboten. Das betraf sowohl Infrastrukturvorhaben wie die Wasser- und Stromversorgung. Seitdem hat sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet, dass heute etwa drei Viertel der 90 Millionen Einwohner zählenden Bevölkerung als arm gelten. Ein Drittel der Hauptstadtbevölkerung verfügt über keinen Wasseranschluss und ist auf die Versorgung durch mobile Händler angewiesen.

 

Wer einen Law and Order-Mann wie Bayani Fernando als MMDA-Vorsitzenden hat, braucht keine Stadtplanungskonzepte. Der forsche Fernando ließ in der Vergangenheit mehrfach die Produkte illegaler Straßenhändler mit Kerosin besprühen. So glaubte er, sich „dieser Plagegeister“ zu entledigen und sie um ihr mühsam Erspartes zu prellen. Noch Ende August 2007 äußerte er sich in einem Radiointerview über den gewaltsamen Abriss von „shanties“: „Wieso sollen wir deren Bewohner umsiedeln? Wir können solche Gesetzesbrecher doch nicht noch mit Eigenheimen belohnen!”

* * *