Schrill und inhaltsleer-Die Philippinen entscheiden über ihren neuen Präsidenten. Ein Politikwechsel steht nicht zur Wahl

Tageszeitung junge Welt / Berlin

10.05.2010 / Ausland / Seite 6

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Rainer Werning

Für die Philippinen war die nun zu Ende gehende Amtszeit der seit Januar 2001 regierenden Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo ein verlorenes Jahrzehnt. Vetternwirtschaft und Korruption grassierten, während Armut und Arbeitslosigkeit zunahmen. Weit über 1000 Menschen wurden Opfer politischer Morde, die Täter sind allesamt auf freiem Fuß.

Am heutigen Montag buhlen nun 50261 Bewerber um 17999 zu vergebende

Posten, vom Präsidentenamt bis hinunter zum Mandat auf Gemeindeebene.

50,72 Millionen registrierte Wähler sind aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Chancen auf das höchste Staatsamt haben jedoch lediglich vier der neun Kandidaten.

 

Der 1960 geborene Benigno »Noynoy« Aquino III. ist ein Sohn der früheren

Präsidentin Corazon Aquino, die das Land nach dem Sturz der Marcos-Diktatur von 1986 bis 1992 regierte und im Sommer vergangenen Jahres starb. »Tita (Tante) Cory«, wie sie im Volksmund liebevoll genannt wurde, gilt im Inselstaat auch heute noch als Ikone der Demokratiebewegung. »Noynoy« Aquino ist Teileigentümer der 6453 Hektar umfassenden Hacienda Luisita. Um sie gibt es seit Jahren Kontroversen, weil sich die Familie Aquino einer Aufteilung ihres Besitzes im Rahmen einer Landreform widersetzt. Am 16. November 2004 wurde die Farm

außerdem Schauplatz eines Massakers, als Bauernproteste blutig

niedergeschlagen wurden. »Noynoy« entstammt dem superreichen und

politisch einflußreichen, jedoch in zwei Lager gespaltenen Cojuangco-Clan. Während »Noynoys« Mutter dem reformorientierten Flügel der Großfamilie angehörte, wird der in der Vergangenheit als Marcos-treu geltende Teil heute unter anderem von seinem Cousin »Gibo« Teodoro repräsentiert, einem seiner schärfsten Konkurrenten um das Präsidentenamt.

 

»Gibo« ist vier Jahre jünger als sein Cousin und wurde im Herbst 2009 von der derzeitigen Regierungskoalition zum Spitzenkandidaten nominiert. Obgleich der Absolvent der US-amerikanischen Harvard Law School in den Medien als klügster Kopf unter den Kandidaten gilt, hat er als Verteidigungsminister im Kabinett von Gloria Macapagal-Arroyo an Glanz verloren, was seine Gewinnchancen schmälert.

 

Im Gegensatz zu seinen beiden Konkurrenten entstammt der 1949 geborene

Manuel »Manny« Villar jr. ärmlichen Verhältnissen. Durch ein geschickt geknüpftes Netz von Freunden und durch das Einheiraten in eine begüterte Familie gelang dem »Selfmade Man« eine beispiellose wirtschaftliche und politische Karriere. Lukrative Geschäfte im Immobiliensektor ließen Villar im vergangenen Jahr mit einem Vermögen von umgerechnet 530 Millionen US-Dollar auf Platz 9 der Forbes-Liste der philippinischen Superreichen rücken. Als einziger Präsidentschaftskandidat versprach er, sich für die Belange der Armen und Marginalisierten einzusetzen.

 

Der älteste der aussichtsreichen Anwärter, der 1937 geborene Joseph »Erap« Estrada, war in den 50er und 60er Jahren als Schauspieler ein ausgesprochener Liebling der Massen und schoß sich in zahlreichen Streifen seinen Weg durch Manilas Gassen und Gossen frei. Auf einer Woge der Euphorie 1998 als Präsident in den Malacañang-Palast getragen, wurde er Anfang 2001 vorzeitig aus dem Amt gejagt und von seiner Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo beerbt. 2007 verurteilte ihn ein Gericht wegen Korruption und illegalem Glücksspiel zu lebenslanger Haft, doch nur wenige Wochen nach dem Urteilsspruch begnadigte ihn die Präsidentin.

 

So aufwendig, schrill und inhaltsleer der jetzige Wahlkampf verlief, so engagiert wie nie zuvor haben gesellschaftliche Gruppen themenorientiert politische Bildungsarbeit von unten geleistet. Eine gute Voraussetzung für spätere Wahlen, aber nicht gut genug, um schon jetzt einen Politikwechsel einzuleiten. Landesweit existieren annähernd 300 politische Dynastien und nach Schätzungen der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) 132 Privatarmeen mit insgesamt 10000 Bewaffneten. Auf den Philippinen zirkulieren 1,2 Millionen nicht lizenzierte Waffen,

mit denen – notfalls gewaltsam – bestehende Machtverhältnisse und Pfründe

verteidigt werden. #