Junge Welt – Rainer Werning: General-Amnesie

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

Gegründet 1947 – Montag, 7. September 2015, Nr. 207

Ausgabe vom 07.09.2015, Seite 8 / Ansichten

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General-Amnesie

 

Petraeus: Mit Al-Qaida gegen IS

 

Von Rainer Werning

 

Mit Beelzebub gegen den Teufel. Mit afghanischen »Freiheitskämpfern« ein

Jahrzehnt lang gegen die sowjetische Besatzung. Mit US-Truppen gegen

eben diese »Freiheitskämpfer«, da sie zwischenzeitlich zu verdammenswürdigen Terroristen – sprich: Taliban – mutiert waren. Und

nochmals heftiger gegen die Taliban, weil diese Osama bin Laden und seine Recken der Al-Qaida als ideelle Gesamtterroristen in den Bergen Afghanistans Unterschlupf gewährten. Und heute? Mit eben den Al-Qaida-Leuten in der Nach-bin Laden-Ära, in Syrien organisiert in der Al-Nusra-Front, gegen den »Islamischen Staat« (IS)? Kein Problem: Das jedenfalls ist dieser Tage laut The Daily Beast die Botschaft von David Petraeus, eines Mannes, der vor allem während der achtjährigen Amtszeit von US-Präsident George W. Bush (Januar 2001 bis Januar 2009) eine glanzvolle Karriere hinlegte – vom »Aufstandsbekämpfungs«-Strategen im Irak, über den Posten des ISAF-Kommandeurs in Afghanistan bis hin zum Direktor der CIA von 2011 bis 2012. In beiden genannten Ländern ist der Name Petraeus untrennbar verbunden mit der Ausweitung von Bombenangriffen der US-Luftwaffe, die jeweils einen hohen Blutzoll unter der Zivilbevölkerung forderten.

Exgeneral David Howell Petraeus (62) wurde bis 2012 vor allem von den

US-amerikanischen Leitmedien als Darling unter den Militärs über den grünen Klee gelobt. Bis er wegen einer Affäre mit Paula Broadwell, einer früheren Reserveoffizierin und Biographin des Generals, strauchelte. Petraeus hatte der Dame darüber hinaus Zugang zu vertraulichen Akten und E-Mails verschafft, was ihm nach einem Schuldeingeständnis im April dieses Jahres eine Geldstrafe von 100.000 Dollar und eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung einbrachte. Peanuts für den einstigen Viersternegeneral, der ohnehin seit Mai 2013 in der milliardenschweren Investmentfirma Kohlberg, Kravis Roberts & Co. den dort für ihn maßgeschneiderten Job eines Vorsitzenden des KKR Global Institute innehat.

 

Was man nicht alles tut, um den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad in die Knie zu zwingen. Wer heute über – vornehmlich afghanische, irakische, libysche und syrische – Flüchtlinge redet, darf über die Architekten dieser »gescheiterten Staaten« und die eigentlichen Schleuser nicht schweigen. Wer nach dem 11. September 2001 nach dreisten Lügen andere Länder mit staatsterroristischen Akten, mit Krieg, Verwüstung und unsäglichem Leid überzog, gehörte eigentlich längst vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gestellt. Statt dessen sitzen zahlreiche Verantwortliche dieser desaströsen Politik nach wie vor an wichtigen Schalthebeln der Macht, reüssierten als Berater in Rüstungskonzernen oder wie eben der einstige Vorzeigeneral Petraeus als hochdotierte Experten in Wirtschaftsunternehmen.