Im Geschichtstest durchgefallen! Parlamentsrede der Senatorin Risa Hontiveros anlässlich der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Erlaubnis der Beisetzung von Marcos auf dem Heldenfriedhof

8. November 2016

Herr Präsident,

ich ergreife das Wort in einer Angelegenheit persönlicher und kollektiver Ehre.

Ich ergreife das Wort im Namen von Susan Quimpo, eines vorpubertären Mädchens während der frühen Jahre des Kriegsrechts, das seine Wochenenden damit verbrachte, gekochten Reis für Inhaftierte in Gefängnissen für politische Gefangene zu verpacken. Fünf ihrer Geschwister waren während des Kriegsrechts inhaftiert – allesamt studentische Aktivisten der Untergrundbewegung. Ihr Bruder Nathan wurden von seinen Häschern nackt ausgezogen und mehrmals mit einem Schlagstock verprügelt. Ihrem Bruder Jan – und ich zitiere aus ihrem Buch ‚Subversives Leben‘ – „wurde der Kopf wiederholt in einen mit Urin gefüllten Nachttopf getaucht, in seine Hoden wurde Wasser gespritzt und seine Füße wurden mit Strom führendem Draht  berührt und zerstochen.“

Jan Quimpo gehört in die Reihe der Verschwundenen und beim letzten Gespräch, das Susan mit ihm hatte, hat er sie darum gebeten, ihm etwas für das Abendessen zu zurück zu lassen. Jun, ein weiterer Bruder, wurde 1981 in Nueva Ecija erschossen.

Ich ergreife das Wort im Namen von Sixto Carlos, heute ein freundlicher Herr in seinen Siebzigern mit roten Wagen und einem heiteren Lachen. Er wurde 1978 ohne Anklage verhaftet und zwei Jahre lang in Einzelhaft verwahrt.Er wurde heftig geschlagen, bekam kochendes Wasser über den Körper geschüttet und wurde an seinen Handschellen an der Zellendecke aufgehängt. Er selbst berichtet: „Ich wurde an jedem Arm von zwei Männern festgehalten und ein weiterer Mann saß auf meinem Schoß. Die Augenbinde wurde mir abgenommen und durch ein Handtuch auf meinem Gesicht ersetzt. Sie begannen, Wasser durch das Handtuch auf mein Gesicht laufen zu lassen. Ich hatte das Gefühl zu ertrinken.“ Dies ist als ‚Waterboarding‘ (Scheinertränken) bekannt, ein unschuldig klingender Name für eine entsetzliche und unmenschliche Foltermethode.

 

Ich ergreife das Wort im Namen von Etta Rosales, ehemalige Kongressabgeordnete und Vorsitzende der Menschenrechtskommission, die während des Kriegsrechts wiederholt vergewaltigt und gefoltert wurde. Sie berichtet von der Folter aus den Händen ihrer Gefängniswärter: „Sie versuchten, mich zum reden zu bringen, indem sie mir Verbrennungen zufügten und mir heißes Wachs einer brennenden Kerze auf Arme und Beine träufelten. Als das nicht funktionierte, rissen sie mir die Kleider vom Leib, pressten einen Pistolenlauf gegen meine Schläfe und spielten russisch Roulette.“ Als sie 1998 für Akbayan zur Kongressabgeordneten gewählt wurde, traf sie einen ihrer Häscher, der nun ihr Kollege geworden war. „Das letzte Mal traf ich Sie in einem Sondergefängnis des Militärs, in dem ich gefoltert wurde“, sagte Etta mit ihrer als Markenzeichen bekannten Offenheit.

 

Ich ergreife das Wort in ihrem Namen und im Namen aller Opfer des Kriegsrechts.

Ich stehe jetzt vor Ihnen im Namen der Gefolterten, Getöteten und Gefangenen des Marcos Regimes. Ich stehe vor Ihnen im Namen der Hinterbliebenen, ihren Eltern, ihren Ehepartnern und ihren durch die Diktatur zu Waisen gewordenen Kindern. Ihnen widme ich das, was ich dem Senat am heutigen Nachmittag vortrage.

 

Ich ergreife das Wort, um ihnen in diesem Winter der Angst und Unsicherheit zu sagen, dass es viele von uns gibt, die sich noch daran erinnern.

Ich möchte ihnen sagen, dass es da Mütter wie mich gibt, die ihren freimütigen Sprösslingen erzählen, dass ihre Freiheiten in den sozialen Medien nicht einfach so bestehen und Ihresgleichen in den siebziger Jahren ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie ihre Meinung sagten.

 

Ich möchte von den Lehrerinnen der Schulen erzählen, in denen ich Bücher mit dem Titel „Nie wieder!“ gespendet habe. In diesen Büchern erzählen die Lehrerinnen ihren Schülerinnen und Schülern aus eigenem Antrieb die schockierenden Ereignisse aus der Zeit der Diktatur.

 

Ich möchte ihnen von den vielen jungen Menschen erzählen, die ich getroffen habe und die so weit entfernt sind vom Stereotyp des lieblosen, auf sich selbst bezogenen Jugendlichen und mich fragen, was sie tun können, um die Kräfte des historischen Revisionismus, die am Werke sind, zu bekämpfen und die mir versichern, dass der Kampf um den Erhalt unserer kollektiven Erinnerung einer ist, den ihre Generation mit der unseren teilt.

 

Ich werde zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über das Begräbnis von Marcos auf dem Heldenfriedhof keine Stellungnahme abgeben.Wir können seine Weisheit nicht im Nachhinein kritisieren, ebenso wenig, wie wir uns vorstellen können, wie es für Sixto Carlos, Etta Rosales und die Quimpo-Familie sein muss, mit der Realität zu leben, dass der Architekt ihrer Folter und der Folter und des Todes ihrer Angehörigen nun zum Helden gemacht worden ist.

 

Während wir unsere Jugendlichen über die Gewalt unter dem Kriegsrecht unterrichten – so wie es das Gesetz der Republik Nr. 10368 vorsieht – begraben wir auf dem Heldenfriedhof denjenigen, der für diese Gewalt verantwortlich ist. Während wir die Opfer des Kriegsrechts und ihre Familien entschädigen, begraben wir auf dem Heldenfriedhof denjenigen, der diese Entschädigungen verursacht hat.

 

Aber wir wissen auch, dass die Entscheidung, dem verstorbenen Diktator ein Heldenbegräbnis zu gewähren, letztendlich in den Händen von Präsident Rodrigo Duterte liegt. Ich fordere den Präsidenten auf, sich der historischen Verantwortung zu stellen und endgültig alle Pläne zurückzuweisen, ein Heldenbegräbnis für Marcos zuzulassen. Der Heldenfriedhof ist ein würdiger Platz für philippinische Soldaten, Kriegsveteranen und Bürger, deren Beiträge zum Wohl der Nation gestatten, sie als Helden zu bezeichnen.

 

Angesichts der langen Geschichte des philippinischen Volkes mit Tyrannei und Unterdrückung wurde der Heldenfriedhof dazu geschaffen, die Erinnerung an unsere tapferen Landsleute zu ehren, die für Freiheit und Recht sogar gegen übermächtige Gewalt kämpften, damit die heutige Generation ihr Erbe ehren und würdigen kann. Er sollte die letzte Ruhestätte für Helden sein – eine Symbolik, die die Marcos Familie nicht verdient, die sich eifrig für die Beisetzung dort eingesetzt hat und – wenn die Angaben unseres Präsidenten zutreffen – sogar seinen Wahlkampf um dieses Zugeständnisses Willen finanziert hat.

 

Herr Präsident, in Deutschland ist das Grab von Adolf Hitler heute ein Parkplatz in Berlin. Idi Amin, der für seine Folterkammern in Kampala berüchtigte Diktator Ugandas, ist nicht einmal in seinem Heimatland beerdigt. In Serbien setzte sich die Partei von Slobodan Milosevic sehr für seine Beisetzung in der Allee der Großen ein, wurde aber daran gehindert. Er liegt nun in seiner Heimatstadt begraben. In Haiti wurde Francois „Papa Doc“ Duvalier, der das Land in den wirtschaftlichen Ruin trieb, Voodoo-Legenden nutzte, um sein Volk zu kontrollieren und seine Widersacher umbrachte, ein Staatsbegräbnis verweigert. Sein Grab in Port au Prince ist verfallen. Pol Pot, bekannt als der Schlächter von Kambodscha, wurde ohne Zeremonie in einem Haufen Müll verbrannt. Der Ort seiner Einäscherung ist heute ein Touristenziel und viele Kambodschaner reisen dort hin, um darauf zu spucken. Der Leichnam Muammar Gaddafis wurde, nachdem er fünf Tage lang von der neuen Führung Libyens ausgestellt worden war, in einem schlichten unbezeichneten Grab beigesetzt.

 

Auf diese Art wurden die Diktatoren in anderen Ländern behandelt, Herr Präsident. Ihre Gräber sind keine Ehrengräber. Sie bekommen Aufmerksamkeit, um den zukünftigen Generationen Lehren zu vermitteln. Diese lauten: ‚Ahmt sie nicht nach!‘

Aber hier in den Philippinen werden die Diktatoren wie Helden angesehen und verehrt. Und die Opfer der  Diktatur werden angezweifelt und nicht beachtet.

 

Aber, Herr Präsident, ich ergreife das Wort nicht nur für die Opfer des Kriegsrechts, für die Generation meiner Eltern und für meine Generation, die mit den fortdauernden Verletzungen des Kriegsrechts lebt. Ich ergreife das Wort auch für unsere jüngere Generation – jene, die nur unseren Erzählungen von unsern Verletzungen zuhören können und darin – wie wir hoffen – unsere tiefe Aufrichtigkeit erkennen. Ich ergreife das Wort für unsere Sprösslinge, die wahrscheinlich niemals Susan und ihre Geschwister oder Sixto Carlos oder Etta Rosales treffen werden, die aber – wie wir hoffen – erkennen werden, dass die Helden des Kriegsrechts junge Menschen wie sie selber waren.

Diejenigen, die die Diktatur gestürzt haben, waren wie sie. Sie waren wie meine Kinder. Sie waren fröhlich, hatten ihre Cliquen, haben immer gelacht. Und sie hatten Ehrgeiz. Sie weigerten sich aber zu gehorchen, als sie von der Geschichte herausgefordert wurden.

 

Herr Präsident, der Oberste Gerichtshof hat eine Entscheidung getroffen.

Aber kein Grabmal, kein großartiger Friedhof kann an der Tatsache rütteln, dass Ferdinand Marcos kein Held war. Er war ein Plünderer, Folterer und Dieb mit einer Familie, die nun versucht, die Geschichte in ihrem Interesse zu fälschen. Er kooptierte alle Institutionen – einschließlich dieses Senats -, um alle Gewalt bei sich selbst zu vereinen.

 

Es ist unsere Pflicht als Senatoren, als Filipinos, als aus der Geschichte Lernende, gegen diese Travestie aufzustehen und erneut das auszurufen, was bereits zuvor ausgerufen wurde: Nie wieder! Nur dann können wir mit Stolz zurückblicken und mit Hoffnung in die Zukunft schauen. Lasst uns im Geschichtstest nicht durchfallen!

 

 

(Übersetzt aus dem Englischen und Filipino von Jörg Schwieger und Emmalyn Liwag-Kotte. – Die Übersetzer sind Vorstandsmitglieder des philippinenbüro e.V. in der Stiftung Asienhaus, Köln.)