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Tageszeitung junge Welt / Berlin
02.02.2016 / Ausland / Seite 6
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Aquino kommt nicht voran

Philippinen: Präsident unter Druck, Friedensprozess stockt

Von Rainer Werning

Der noch bis Ende Juni amtierende philippinische Präsident Benigno Aquino III. ist in der vergangenen Woche erneut wegen des Einsatzes zur Ergreifung des international gesuchten »Topterroristen« Zulkifli bin Hir alias Marwan vor einem Jahr unter Beschuss geraten. Im Senatskomitee für öffentliche Ordnung und Sicherheit warf der 91jährige Senator Juan Ponce Enrile dem Präsidenten vor, »aktiv und direkt« in die Planung der »Antiterroroperation« in Mamasapano auf der Insel Mindanao im Süden des Landes involviert gewesen zu sein. Bei dem Einsatz waren am 25. Januar 2015 nach offiziellen Angaben 44 Mitglieder der Special Action Force (SAF) der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) getötet worden.

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25.01.2016 / Ausland / Seite 6

Präsident unter Druck

Philippinen: Ein Jahr nach gescheiterten »Antiterroraktion« macht der Senat mobil gegen Benigno Aquino

Von Rainer Werning

Der philippinische Präsident Benigno S. Aquino III. ist in Bedrängnis. Heute wird das Senatskomitee wegen der tödlichen »Antiterroroperation« vor genau einem Jahr seine Untersuchungen wieder aufnehmen. Dabei hatte sich Aquino, als er Ende Juni 2010 seinen Amtseid ablegte, sehnlichst gewünscht, als Friedensstifter in die Geschichte seines Landes einzugehen.

Geradezu euphorisch war die Stimmung, als Manilas Chefunterhändler und Emissäre der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) nach jahrelangen Verhandlungen am 27. März 2014 einen Friedensvertrag unterschrieben. Dessen Kern bildet die Schaffung der autonomen Region Bangsamoro auf Grundlage eines entsprechenden Gesetzes. Dadurch sollte ein Schlussstrich unter einen der längsten und gewaltsamsten Konflikte in Südostasien gezogen werden. Doch dieser Prozess wurde vor einem Jahr, am 25. Januar 2015, jäh unterbrochen, als ein von der Regierung als »Antiterroraktion« bezeichnetes Kommandounternehmen desaströs endete.

Gleich mehrere Senatoren werfen Mitgliedern in Aquinos Kabinett vor, durch Verschweigen und Vertuschen relevanter Fakten bis dato die Aufklärung des genauen Verlaufs der Aktion vereitelt zu haben. Im Zentrum der Kritik steht kein Geringerer als der Präsident selbst.

Für die Philippinische Nationalpolizei (PNP) war der 25. Januar 2015 der schwärzeste Tag ihrer Geschichte. An jenem Sonntag töteten Mitglieder der Special Action Force (SAF), einer Elite­einheit der PNP, einen international gesuchten »Topterroristen«. Doch nebenbei zerstörten sie den Friedensprozess mit der MILF, der bedeutendsten muslimischen Widerstandsorganisation im Süden der Philippinen. Seitdem ist Mamasapano, ein kleiner Ort in der Provinz Maguindanao auf der südlichen Hauptinsel Mindanao, zum Inbegriff einer nationalen Tragödie geworden.

Damals attackierten SAF-Einheiten in den frühen Morgenstunden den Ort und durchsuchten Häuser und Bambushütten. Der Auftrag: Die Polizisten sollten die seit Jahren international Gesuchten Zulkifli Bin Hir (alias Marwan) und Abdul Basit Usman ausschalten.

Doch das Kommandounternehmen endete in einem Fiasko: Der Angriff scheiterte an heftiger Gegenwehr. Laut offiziellen Angaben kamen dabei 44 der fast 400 eingesetzten SAF-Polizisten ums Leben. Die MILF sowie Kämpfer der von ihr abgespaltenen Bangsamoro Islamischen Freiheitsbewegung (BIFM) beklagten ihrerseits 18 Tote. Die BIFM strebt nach wie vor ein unabhängiges Moroland an und bezichtigt die MILF der Kapitulation. Außerdem starben sechs Zivilisten, darunter ein Kleinkind.

Zwar wurde später aufgrund einer DNA-Analyse Marwans Tod bekanntgegeben, Abdul Basit Usman konnte indes entkommen. Die Kommandoaktion forderte deshalb so viele Tote, weil sie in einem Gebiet stattfand, das überwiegend von der MILF kontrolliert wird. Da gemäß dem ausgehandelten Friedensvertrag Truppenbewegungen der beidseitigen Absprache bedürfen, die SAF-Operation aber als geheime Nacht-und-Nebel-Aktion erfolgte, ging die gegnerische Seite von einem Überfall aus.

Mit der heute beginnenden erweiterten Beweisaufnahme zu den Mamasapano-Ereignissen, zu der auch Regierungsvertreter als Zeugen geladen sind, hat Senatorin Grace Poe, die Vorsitzende des zuständigen Senatskomitees für öffentliche Ordnung und Sicherheit, ihrem Kollegen Juan Ponce Enrile eine Steilvorlage geliefert. Der im Februar 92 Jahre alt werdende Enrile ist der dienstälteste Senator und hatte dem vor 30 Jahren gestürzten Diktator Ferdinand Marcos nacheinander als Chef der Zollbehörde, des Finanz-, Justiz- und Verteidigungsministers gedient. Enrile gilt als einer der schärfsten politischen Widersacher Aquinos und hatte Anfang vergangener Woche öffentlich verkündet, über neue Beweise zu verfügen. Demnach soll der Präsident »aktiv und direkt« in die Geschehnisse in und um Mamasapano verwickelt gewesen sein. Mehr noch: Der Präsident , so Enrile, »war über den dortigen Verlauf unterrichtet, unternahm jedoch nichts, um die bedrängten SAF-Einheiten zu retten«. Hinterbliebene der Opfer würden noch immer auf die versprochene Hilfe warten.

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2016/01-25/067.php

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21.12.2015 / Feuilleton / Seite 11
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Messias mit MG

In Wild-Ost-Manier dominiert Rodrigo R. Duterte den Präsidentschaftswahlkampf in den Philippinen

Von Rainer Werning

»Süßer die Glocken nie klingen« – jedenfalls für den 70jährigen Rodrigo R. Duterte, den Vertraute kurz »Rody« oder »Digong« nennen. In den katholischen Philippinen kommt in der Vorweihnachtszeit der Präsidentschaftswahlkampf in Fahrt. Im Mai wird landesweit abgestimmt. Erst Anfang dieses Monats hat sich Duterte, von Haus aus Jurist, als Kandidat registrieren lassen, vorgeblich auf Druck seiner enthusiastischen Fangemeinde. Im Nu führte er die Meinungsumfragen an, weit vor den bis dahin aussichtsreichsten Bewerbern Grace Poe (Senatorin) und Jejomar Binay (amtierender Vizepräsident). Abgeschlagen dahinter rangiert mit Manuel A. Roxas II., Exinnenminister und Spross einer alten Politikerfamiliendynastie, der Günstling von Noch-Präsident Benigno S. Aquino III., wie dieser Mitglied der regierenden Liberal Party.

 

 

Was erklärt den Hype um diesen Bürgermeister, der seit bald drei Jahrzehnten – zeitweise mit mit Tochter Sara oder Sohn Paolo– die Geschicke von Davao lenkt, der mit 1,5 Millionen Einwohnern größten Stadt der südphilippinischen Insel Mindanao? Duterte hat sein Erfolgsrezept selbst erklärt. »Zu Wahlzeiten sage ich den Leuten immer wieder klipp und klar: Wenn ihr einen Bürgermeister wollt, der keine Kriminellen tötet, dann sucht euch gefälligst einen anderen.« In der lange von staatlicher Gewalt und von Untergrundoperationen der Neuen Volksarmee (NPA, Guerilla der KP der Philippinen, CPP) gezeichneten City verfingen solche »Law and order«-Parolen. Die meisten Davaoenos trauen »ihrem« Bürgermeister, der sich bis heute vorzugsweise mit Kehrbesen oder MG im Anschlag ablichten lässt.

Vor allem Geschäftsleute schätzen »Digongs« Sinn für »Stadtverschönerung« und »Sicherheit«. Bettler, Straßenkinder und Kleinkriminelle sind dem Bürgermeister ein Dorn im Auge, galten und gelten ihm schlichtweg als »Gesindel«, das es zu »beseitigen« gilt. Aufwendige Recherchen von Human Rights Watch (HRW, New York) ergaben: Er hat das Wirken von Todesschwadronen, vor allem der »Davao Death Squad« (DDS), zumindest gutgeheißen.

Seit den 90er Jahren hätten diese Todesschwadronen mehr als 1.000 Morde begangen, so Phelim Kine, stellvertretender Direktor der HRW-Asienabteilung. Die meisten Opfer seien Kinder und Jugendliche, deren »Verbrechen« darin bestand, auf belebten Marktplätzen oder vor beliebten Einkaufzentren herumgelungert zu haben. Zahlreiche dieser Morde seien im Auftrag von Mitgliedern der Stadtverwaltung oder der Polizei verübt worden. Schergen hätten das in einigen Fällen für mickrige 500 Peso (zirka zehn Euro) erledigt, gaben jedenfalls ehemalige DDS-Mitglieder gegenüber HRW zu Protokoll. »Ihre Aktionen (waren) mit der Polizei koordiniert, so dass diese nirgends zur Stelle war, wo die Todesschwadronen gerade operierten«, heißt es im HRW-Report »You can die anytime« (Du kannst jederzeit sterben) aus dem Jahr 2009. »Die Mitglieder brauchen nichts zu befürchten, weil die Vollzugsbeamten gleichzeitig ihre Bosse sind, die sich umgehend um die Freilassung kümmern.«

Auch für »unbelehrbare Personen«, die der Bürgermeister oder dessen engste Vertraute als »Reisschieber«, »Drogendealer«, »Kidnapper«, »Autodiebe« oder »korrupte Polizisten« ausgemacht haben, gilt »Digongs« Botschaft, die im Leitartikel des auflagenstarken Philippine Daily Inquirer am 23. Mai 2015 so zitiert wurde: »I’ll break your bones. – I’ll execute you. – I will kill you. – Not in Davao or I’ll kill you.« Solche Drohungen gehören zum Standardrepertoir des Bürgermeisters: »Wenn jemand in meiner Stadt etwas Illegales tut, wenn ein Krimineller oder jemand als Teil eines Syndikats unschuldige Leute belästigt, dann ist er, solange ich Bürgermeister bin, legitimes Ziel einer Hinrichtung.« Im übrigen habe die Polizei für den Fall von Widerstand bei Festnahmen unmissverständliche Anweisungen: »Sie (die Polizisten) werden auf deinen Kopf zielen, um sicher zu sein, dass du auch tot bist.«

Neben HRW haben Amnesty International und nationale Bürgerrechtsorganisationen wie »Karapatan« die Regierung in Manila wiederholt aufgefordert, die Hinrichtungen in Davao zu untersuchen. Es geschah nichts oder Absonderliches. Im Jahr 2012 legte die staatliche Menschenrechtskommission CHR aufgrund eigener Untersuchungen dem Büro des sogenannten Ombudsman nahe, wegen Mordes gegen Duterte zu ermitteln. Der Ombudsman leitete lediglich Verfahren gegen 21 Polizisten wegen »Pflichtvernachlässigung« ein. Deren Verurteilungen zu Geldstrafen wurden von einem Berufungsgericht kassiert; die Beweislage sei zu dürftig gewesen. Gegen Duterte wurde kein Verfahren eingeleitet, sämtliche Morde sind ungesühnt.

»Digong« zieh die ermittelnden Behörden, seine »pflichtbewussten Polizisten kastrieren« zu wollen. In einem Rechtsstaat wären Innen- und Justizministerium aktiv geworden. Doch das philippinische Rechtssystem erweist sich erstaunlich elastisch bei der Wahrung der Interessen der Reichen, Mächtigen und Starken. Und so bleibt’s einstweilen beim Schlagabtausch zwischen Duterte und Exinnenminister Roxas – in Wild-Ost-Manier, versteht sich. Roxas tat Dutertes stolzen Hinweis, Davao sei mittlerweile die neuntsicherste Stadt der Welt, als »Mythos« ab. Duterte konterte, Roxas‘ Abschluss an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania sei »ein wahrer Mythos« – beim nächsten Zusammentreffen werde er dem Lügner ins Gesicht schlagen. Roxas versprach Gegenwehr und wurde kurzerhand zum »Pistolenduell« herausgefordert. Warum? Für »Digong« ist es ausgemachte Sache: »Die Reichen haben zuviel Schiss vor dem Tod!«

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