Es ist Blut in deinem Kaffee–Besuch bei den streikenden Nestle-Arbeitern

Am 10.4.09 besuchte die 15-köpfige Reisegruppe der „Deutsch-Philippinischen Freunde“ (DPF), Nestle-Arbeiter in ihrer Picket-Line vor Nestle-Cabuyao. Wir erhielten einen interessanten Bericht über deren Auseinandersetzung mit einem der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt:

Seit vielen Jahren kämpfen die Nestle-Arbeiter in verschiedenen Fabriken auf den Philippinen, so auch bei Nestle Cubayao um bessere Arbeitsbedingungen. Nach dem Kampf um Gründung einer Gewerkschaft im Betrieb, haben die Nestle-Arbeiter 1986 wesentlich dazu beigetragen, eine nationale Streikbewegung zu entwickeln für die Durchsetzung von Rentenbezügen. Der Streik hatte Erfolg, das Thema Rentenbezüge wurde zum von beiden Teilen unterschriebenen und damit verhandlungsfähigen Bestandteil von Tarifverhandlungen.

Nachdem die Geschäftsleitung diese Vereinbarung einfach ignorierte, gab es 1991 eine Gerichtsentscheidung des Obersten Gerichtshofes. Das Urteil besagte, dass die Geschäftsleitung über Rentenfragen verhandeln muss. Eine gleich lautende 2. Entscheidung des obersten Gerichts erfolgte 2006; die 3. Entscheidung, bei der das Gericht keinen Einspruch und keine Revision durch Nestle mehr zuließ im März 2008.

Doch bis heute, 2009, müssen die Arbeiter für die Umsetzung ihres Rechts, über Renten zu verhandeln, kämpfen. Die Auseinandersetzung mit Nestle hat die Arbeiter viel gekostet. Viele haben aufgrund der Auseinandersetzungen ihre Arbeit verloren, und wegen „Schwarzer Listen“ nie mehr welche bekommen. Hunderte von Arbeiter wurden entlassen, so 600 in Alaban (viele von ihnen arbeiteten fast 30 Jahren für Nestle), 400 in Bulacan, nicht weil es Nestle schlecht ging, sondern weil Nestle das Zeitarbeitermodell einführen wollte. Zeitarbeiter haben auf den Philippinen nach dem Gesetz nämlich kein Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. In Cabuyao arbeiten heute 80% Zeitarbeiter, was für die gewerkschaftliche Arbeit und Organisierung im Betrieb eine gewaltige Hürde darstellt.

Die meisten der Entlassenen haben ihre Lebensgrundlage, ihre Häuser verloren. Ihre Kinder können nicht mehr die Schule besuchen. Der hohe Druck hat bewirkt, dass einige der Aktivisten inzwischen an Herz- und Kreislaufkrankheiten  starben. Im Zusammenhang mit gewaltsamen Auflösungen von Protestaktionen erhielten über 250 Beschäftigte Strafanzeigen von Nestle und der Polizei. Noel Alemania, der 1. Vorsitzende der Gewerkschaft und unser Gesprächspartner hat allein 39 Strafanzeigen vor örtlichen Gerichten. Dies ist eine enorme Belastung. Man muss sich gegen alle Anklagen wehren, braucht viel Nerven und Geld, um die Rechtsanwälte zu bezahlen. Die Arbeiter sollen mit solchen Maßnahmen fertig gemacht werden.

Die philippinische Regierung steht bei der Auseinandersetzung ganz auf der Seite der Firma. Sie hilft den internationalen Konzernen direkt, in den riesigen Industrie­produktionszonen politische und gewerkschaftlich Aktivitäten zu unterbinden. Dies betrifft weit mehr als 500 000 Menschen allein in der Zone in Süd-Tagolog.

So erließ beim Streik 2002 ein Vertreter des Arbeitsministeriums!!!, der zuvor mit Sponsoring durch Nestle auf einer Reise in Europa war, im Auftrag der Regierung eine so genannte vorauseilende Verordnung. Diese erlaubte es der Polizei und dem Militär schon im Vorfeld der Auseinandersetzung, den Streik aufzulösen. Zur gleichen Zeit diffamierte Arroyo in einer Fernsehansprache die Nestle-Arbeiter. Sie seien Drogenhändler und Spieler und würden die Großgrundbesitzer und Nestle terrorisieren. Am darauf folgenden Tag wurde „Ka Fort“ war, der damalige Gewerkschaftsführer, ermordet. Die gewaltsame Auflösung von Streiks ist bis heute an der Tagesordnung.

Vor Ka Fort starb bereits ein anderer Gewerkschaftsführer bei den Ausein­andersetzungen mit Nestle: Mel Roxas wurde am 20.1.89, beim legalen Streik, vor dem Tor in aller Öffentlichkeit erschossen. Es war eine militärisch gedeckte Tötung, denn die Täter flohen unbehelligt unter den Augen des Militärs, das die Werkstore sicherte, in die Firma. Es erfolgte keine Verfolgung der Täter und sie wurden nie gefunden. (Insgesamt hat auf den Philippinen die Zahl der politischen unrechtmäßigen Tötungen die 1000-Marke seit dem Amtsantritt von Gloria Macapagal Arroyo, 2001, überschritten.

Dazu wird Nestle wird von der lokalen Polizei unterstützt, auf dem Betriebsgelände wurde eine sogenannte industrielle „peace-action-group“eingerichtet. Es ist schon paradox, meint Noel, dass gerade die staatliche Organisation, die Entscheidungen der Gerichte durchsetzen soll, dabei massiv hilft, die Durchsetzung dieser Gerichtsentscheidungen zu verhindern.

Doch viele Kollegen konnten durch die Einschüchterungen nicht ruhig gestellt werden. Sie wurden herausgefordert und gefestigt. Sie fühlen sich verantwortlich nicht nur für ihren Betrieb, sondern für alle Arbeiter/innen auf den Philippinen und weltweit. Durch ihre Erfahrung mit dem Staatsapparat ist aus dem gewerkschaftlichen Kampf für Rentenbezüge ein politischer Kampf geworden, der sich gegen das korrupte Arroyo- Regime richtet, das wegen eigener Vorteile das Land und seine Menschen den internationalen Konzernen vor die Füße wirft.

Gegenwärtig finden ständige große Aktionen vor Nestle und anderswo statt. Noel Alemania berichtet, dass es ihnen dabei sehr darum geht, nicht nur der Philip- Öffentlichkeit, sondern der gesamten Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass ihnen der das Oberste Gericht dreifach Recht gegeben hat. Dies ist wichtig, denn das philippinische Rechtssystem ist sehr korrupt. Hohe Richter werden von der Regierung eingesetzt und sind dann lieber still. So ist es durchaus möglich, dass die Urteile nachträglich auf Betreibung von Nestle geändert werden. Wenn diese Entscheidungen aber im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, dann hat es das Gericht schwer, diese zu ändern, ohne das jetzt schon schlechte Ansehen in der Öffentlichkeit vollends zu verlieren. Es finden deshalb immer wieder Aktionen vor den Gerichten, insbesondere vor dem Obersten Gericht statt, zu denen sie breit mobilisieren. Dem schließen sich Protestaktionen an vor dem Ministerium für Arbeit und Beschäftigung, denn dieses Ministerium hat eigentlich die Aufgabe, die Umsetzung des Gerichtsbeschlusses auch tatsächlich durchzusetzen.

Sie könnten dies schaffen, mein Noel, denn sie hätten eine besondere Kraft, nämlich vereint zu kämpfen. Sie werden von vielen Teilen in der Bevölkerung unterstützt, von Schülern, Studenten, Landarbeitern, von Menschen aus kirchlichen Kreisen, so zum Beispiel durch einen philippinischen Kardinal, von Menschenrechtsorganisationen…

Internationale Unterstützung gab es zum Beispiel durch die ILO (internationale Arbeitsorganisation in Genf). Diese empfahl Nestle und der Regierung, nach eigenen Untersuchungen zur Situation vor Ort, die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen, sowie den Abzug der Polizei und des Militärs vom Betriebsgelände zu veranlassen.

Und sie haben solidarische Verbindungen zu Nestle-Gewerkschaften weltweit in Australien, Japan, Indien. Auch ein Pater aus der Schweiz wurde aktiv. Sie erhoffen sich, dass sie zu den Gewerkschaften in Deutschland Verbindungen bekommen und bitten uns in dieser Hinsicht uns Besucher um Unterstützung. Sie fordern uns auf, Protestbriefe an die philippinische Regierung und andere staatliche Stellen zu schreiben.

Über eine vorbildliche und ständig aktualisierte Homepage, ist es allen Interessierten auf der ganzen Welt möglich, sich jederzeit über die aktuellen Ereignisse anhand von Berichten, Bildern und Videos zu informieren.

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