Unter Generalverdacht: Mediziner als Sicherheitsrisiko

Mit der willkürlichen Verhaftung von 43 medizinischen Pflegekräften eröffnet die philippinische Regierung

ihren stramm antikommunistischen Wahlkampf

 

Von Rainer Werning

 

Knapp drei Stunden dauerte der kombinierte Großeinsatz philippinischer Soldaten und Polizisten in den Morgenstunden des 6. Februar in der Ortschaft Morong in der an Manila angrenzenden Provinz Rizal, bis deren Kommandeure die Parole „mission accomplished“ ausgaben. Etwa 300 staatliche Sicherheitskräfte stürmten an jenem Samstagmorgen gewaltsam das Farmhaus von Dr. Melecia Velmonte, einer am regierungseigenen Philippine General Hospital in Manila tätigen und auf Infektionskrankheiten spezialisierten Ärztin, wo gerade ein 43-köpfiges Team von Pflegekräften einen medizinischen Fortbildungskurs absolvierte. Das Farmhaus diente in der Vergangenheit wiederholt als Trainingszentrum für landesweit in basisorientierten Gesundheitsprogrammen engagierte Mitarbeiter/innen und als Begegnungsstätte für medizinisches Fachpersonal aus dem universitären Bereich. Initiiert wurden die Kurse und Austauschprogramme maßgeblich von zwei sozialpolitisch engagierten NGOs, der eingetragenen Stiftung für gemeindeorientierte medizinische Entwicklung (COMMED) und dem landesweit verankerten Rat für Gesundheit und Entwicklung (CHD). Ohne einen gültigen Haftbefehl vorzuweisen, wurden alle Anwesenden durchsucht und gefesselt. Anschließend verband man ihnen die Augen, legte ihnen Handschellen an und transportierte sie wie Vieh auf Lastwagen und in bereitgestellten Minibussen ins benachbarte Militärcamp Capinpin.

Bereits wenige Stunden später verkündeten unisono Eduardo Ermita, Exgeneral und amtierender Exekutivsekretär von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, und Oberstleutnant Noel Detoyato, Sprecher der 2. Infanteriedivision der Philippinischen Armee, bei den 43 verhafteten Personen handele es sich um Mitglieder der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP). Die Inhaftierten hätten nicht an einem Gesundheitstraining teilgenommen, sondern seien von erfahrenen NPA-Kadern im Umgang mit Waffen und Sprengstoff unterrichtet worden. Schließlich hätte man auf dem Anwesen von Dr. Velmonte Waffen, Handgranaten und Sprengstoff gefunden – „teilweise versteckt unter Kopfkissen und Betten“. Dem widersprachen umgehend Zeugen, die miterlebt hatten, dass eine systematische Hausdurchsuchung erst stattgefunden habe, nachdem bereits alle Anwesenden abtransportiert waren.

 

Erst drei Tage später und nach hartnäckigem Insistieren gelang es der Vorsitzenden der staatlichen Menschenrechtskommission, Leila De Lima, dass die willkürlich Inhaftierten (kurz „Morong 43“ genannt) wenigstens von Verwandten und Bekannten besucht werden konnten. Die meisten berichteten, zwischenzeitlich körperlich und seelisch gefoltert worden zu sein, um unter Zwang Geständnisse zu erpressen. De Lima bestätigte diese Aussagen und warf den Sicherheitskräften vor, sie hätten Besuche schon viel früher zulassen müssen. Dr. Geneve Rivera, Generalsekretärin der Gesundheitsallianz für Demokratie (HEAD), berichtete, die Gefangenen hätten 36 Stunden lang mit verbundenen Augen und in Handschellen ausharren müssen. Man habe sie geschlagen, stundenlang verhört und nicht schlafen lassen. Bei den streng bewachten Toilettengängen seien sie häufig sexuell belästigt worden. Als Rechtsanwälte der „Morong 43“ beim Obersten Gerichtshof den Antrag auf Habeas Corpus für ihre Mandant/innen stellten, rügte das Gericht, den Gefangenen Rechtshilfe verweigert zu haben. Ferner ordnete es an, die Inhaftierten unverzüglich vor einem Berufungsgericht zu präsentieren. Die verantwortlichen Militär- und Polizeioffiziere folgten dieser Anordnung aber erst Tage später, am 15. Februar, als es zur ersten Anhörung kam. Armeesprecher Detoyato begründete das mit logistischen Problemen und Sicherheitsrisiken; man hätte sich vor einem NPA-Angriff schützen und einen gewaltsamen „Gefängnisausbruch“ vereiteln müssen. Überdies, so der Oberstleutnant weiter, bestehe kein Zweifel daran, dass es sich bei den festgenommenen Krankenschwestern, Ärzten und Sozialarbeiterinnen um kommunistische Sympathisant/innen handele, weil sie – wie in den frühen Jahren der Volksrepublik China – „Barfußärzte“ ausbildeten und als ihr Chefanwalt Romeo Capulong auftrete. Der auch international renommierte philippinische Menschenrechtsanwalt Capulong, der in seiner Jahrzehnte langen Praxis zahlreichen fortschrittlichen und linken Organisationen und Aktivist/innen, darunter auch dem CPP-Gründungsvorsitzenden José Maria Sison, Rechtsbeistand leistete, konterte und warf dem Militärsprecher ein „verschrobenes Weltbild“ sowie die Unkenntnis und Missachtung von Recht und Gesetz vor.

 

Kommentator/innen in den Medien des Landes, zahlreiche Kirchenvertreter, Ärztevereinigungen und nationale Bürgerrechtsorganisationen sowie die in Hongkong ansässige Asiatische Menschenrechtskommission übten scharfe Kritik an den Sicherheitskräften und warfen der Regierung vor, tatenlos zuzuschauen, dass mittels fabrizierter Anschuldigungen „ausgerechnet jenes Personal im Gesundheitswesen terrorisiert wird, das sich dafür entschieden hat, nicht ins Ausland abzuwandern“. Dr. Eleanor Jara, die Geschäftsführerin des CHD, verwies auf den selbstlosen Einsatz solcher Pflegekräfte in den entlegensten Winkeln des Landes, wo das Gros der in Armut und Arbeitslosigkeit lebenden Menschen zeit ihres Lebens keinen Arzt zu Gesicht bekommt. „Aufgrund ihres beherzten und aufopferungsvollen Einsatzes für das Wohlergehen ihrer Landsleute und trotz schwieriger Arbeitsbedingungen und geringer Verdienstmöglichkeiten engagieren sich diese Gesundheitsarbeiter/innen dort, wo ihre Hilfe am meisten vonnöten ist“. Dr. Edelina Dela Paz vom Netzwerk für Gesundheitsaktion und –information (HAIN), pflichtete ihrer Kollegin bei: Anstatt diesen Einsatz zu würdigen, lässt es Frau Arroyo als Oberkommandierende der Streitkräfte zu, dass ihre Soldaten und Polizisten auf einen Schlag 43 solcher engagierten Pflegekräfte entführen, deren Rechte grob verletzen und Hilfsmaßnahmen für die ärmsten Gemeinden unterbinden“.

 

Offensichtlich erfolgte die Festnahme der Morong 43” im Zusammenhang mit militärischen Rückschlägen der Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror”. Mehrfach hat Präsidentin Arroyo, deren Amtszeit nach den Präsidentschaftswahlen am 10. Mai verfassungsgemäß am 30. Juni endet, in den vergangenen Jahren auf öffentlichen Kundgebungen und in Reden vor Offizieren der Philippinischen Militärakademie in Baguio City (nördlich von Manila gelegen) als eines ihrer Hauptvermächtnisse den militärischen Endsieg über die NPA beschworen. Der Kampf gegen den Kommunismus“, so Frau Arroyo wörtlich, „ist der Kitt, der uns alle eint“. Zu diesem Zweck entwarfen ihre Strategen eigens die zweiphasige Aufstandsbekämpfungsstrategie Oplan Bantay Laya (Operationsplan Freiheitswacht), wonach vorrangig legale fortschrittliche und linke Gruppierungen ins Visier von Armee und Polizei genommen wurden. Das Kalkül: So sollten einerseits „die extremen bewaffneten NPA-Kämpfer“ zermürbt und zum anderen die Opfer dieser Counterinsurgency den Linken insgesamt angelastet werden – als „Opfer linker Säuberungen und Fraktionskämpfe“.

 

Am 2. Februar veröffentlichte das CPP-Informationsbüro eine Erklärung, die in Manila Siegeseuphorien dämpfte. Darin beglückwünschte die Partei die Partisanen der NPA zu Terraingewinnen im Hinterland und lobte vor allem erfolgreiche taktische Offensiven gegen Regierungstruppen in zahlreichen Orten der Cordillera- und Bicol-Region (im Norden bzw. Südosten der Hauptinsel Luzon). Allein im ersten Monat dieses Jahres seien so zahlreiche Schnellfeuerwaffen erbeutet sowie „mindestens 28 feindliche Soldaten getötet und 25 weitere verwundet worden“. Die eigenen Verluste wurden in der Erklärung mit „vier gefallenen Roten Kämpfern“ angegeben. Aus dem Exil im niederländischen Utrecht forderte derweil Fidel V. Agcaoili, Vorsitzender des Menschenrechtskomitees der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), der unter anderen auch die CPP und NPA angehören, in einer vom 15. Februar datierten Erklärung den sofortigen Rücktritt von Verteidigungsminister Norberto Gonzales. Dieser, so Agcaoili, habe die Inhaftierung der „Morong 43” gedeckt, verfolge aufgrund seines „paranoiden Antikommunismus” eine Eskalation der Kampfhandlungen und schwadroniere im Sinne psychologischer Kriegführung über angebliche Differenzen in der CPP-Führung, um von der desaströsen, mehrfach auch international kritisierten Menschenrechtspolitik des Arroyo-Regimes abzulenken.

[ Das Manuskript wurde am 15.02.2010 abgeschlossen. ]