Ein Tag mit dem Frauenverband Gabriela in Manila / Philippinen

Korrespondenz aus Albstadt, Juni 2014

 „Wir werden siegen, weil wir Führerinnen ausgebildet haben und unsere Jugend das Kämpfen gelernt hat!“

 Mit diesen Worten verabschiedeten uns abends die Organizerinnen des philippinischen Frauenverbands  Gabriela. Im Rahmen einer Philippinen-Reise der Deutsch-Philippinischen Freunde (DPF) besuchten wir im April den Frauenverband Gabriela in Manila.

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Teil 1:

 Morgens besuchen wir das nationale Hauptquartier von Gabriela in Quezon/Manila. Wir werden von der Internationalismus-Verantwortlichen J. herzlich begrüßt. Im Hof des Zentrums und in den Büroräumen stehen und liegen Transparente, Schilder, Fahnen, Megaphone, Kunsthandwerk und wir spüren sofort: Gabriela ist höchst lebendig und kämpferisch.

Unsere Gastgeberin berichtet, dass Gabriela 150 000 Mitglieder hat und auch in anderen 8 Ländern vertreten ist. Sie haben zwei Frauen im Parlament, die auf ihre Diäten bewußt verzichten, um ein Zeichen gegen Abhängigkeit und Korruption zu setzen. Überhaupt nimmt Gabriela kein Geld von der Regierung, sondern finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und bei bestimmten Programmen oder Kampagnen können sie Fonds von Nichtregierungsorganisationen nutzen.

 

Aktuell macht Gabriela eine Kampagne gegen Preiserhöhungen und gegen die Privatisierung  des gesamten Gesundheitswesens und der Krankenhäuser – an der Privatisierung ist auch Siemens beteiligt. Desweiteren kämpft Gabriela gegen den Militarismus der USA. Dieser bringt permanente Übergriffe und Gewalt gegen Frauen und Kinder, Prostitution und Menschenhandel. Sie fordern: US-Truppen raus aus den Philippinen.

Darüber hinaus kümmert sich Gabriela um die gesamten Lebensverhältnisse: es gibt Opfergruppen sexueller Gewalt, sie kämpfen um höhere Löhne, um bessere Wohnverhältnisse, gegen das Demolieren der Hütten in den Slums, für Kinderrechte, Zugang zu Schulen, für Gesundheit und Fürsorgeeinrichtungen, bezahlbares Wasser und Strom, und vieles mehr. Gabriela hat differenzierte regionale Strukturen (Chapter) und verschiedene Verbände z.B. für junge Frauen und für Bäuerinnen. Verzweigt ist auch ihre Zusammenarbeit und Verbindungen zu anderen Organisationen und man gewinnt wirklich den Eindruck: Gabriela ist überall. (Und tatsächlich treffen wir später auch auf der Hacienda Luicita und in den Cordilleren auf Aktivistinnen von Gabriela)

Großen Wert legt Gabriela auf die Bildung und Erziehung von klein auf. Zum Teil organisieren sie selbst Vorschulen, haben „Gabriela-Lehrpläne“ für Kinder ab 3 Jahren. In ihren Arbeitsgebieten (Community) gibt es politische Bildung für die Frauen, Gesundheitserziehung, Erste-Hilfe-Kurse. „Wir wollen auch das traditionelle Denken der Frauen verändern, sie sollen die alltägliche Gewalt nicht als gottgegeben hinnehmen, sie müssen die gesellschaftlichen Zusammenhänge begreifen, so bekommen sie Selbstbewußtsein. Wir legen großen Wert auf selbständiges Denken und Handeln der Frauen in unseren Communitis.“

Wir sprechen auch über die Hilfe nach dem verheerenden Taifun Yolanda im November 2013.  Gabriela bedankt sich sehr für die 34 000.- Euro und die vielen Hilfsboxen aus Deutschland, die DPF organisiert hatte. Sie versichern, dass alles bei den Opfern angekommen ist. „Wir sind vor allem in abgelegene Gebiete gegangen, aufs Land und zu den Fischern.“ Die Regierung zieht dagegen mit den Spendengeldern ausländische Investoren an – Bergbau-, Agrar- und Touristenkonzerne. So wird den Fischern verboten, ihre Häuser wieder am Strand zu bauen, weil „das zu gefährlich“ sei, sie werden in die Berge (was soll ein Fischer in den Bergen??) geschickt. Denn die Regierung will den Strand für Tourismus-Zentren verkaufen. Die Gabriela-Frauen machen  die Abholzung der Wälder für den Bergbau mitverantwortlich für das katastrophale Ausmaß des Taifuns. Sie fordern den Schutz der Wälder und die Wiederaufforstung. Gabriela arbeitet auch mit „People surge“, einer Organisation von Taifun-Opfern zusammen.

Dieses Jahr feiert Gabriela ihren 30. Geburtstag. Dazu soll im November 2014 ein internationaler Kongress stattfinden, der sich mit dem Thema befassen wird: Katastrophenschutz – Wie wird man mit Umweltkatastrophen fertig – welche Auswirkungen hat das auf die Frauen und wie organisiert man die Frauen?

Wir laden die Frauen nach Deutschland ein zum Frauenpolitischen Ratschlag in Chemnitz Anfang Oktober und berichten von den Vorbereitungen zur Weltfrauenkonferenz in Nepal 2016.

Nach diesen interessanten Informationen und Gesprächen im nationalen Büro von Gabriela fahren wir in den ärmsten Stadtteil von Manila – Tondo in City Manila. Dieser Teil Manilas erlangte in den 1980iger Jahren traurige Berühmtheit durch den berüchtigten Smokey mountain an der Manila-Bay.

Teil 2:

Tondo / Manila – die Hölle auf Erden, aber auch die Wiege von Gabriela

Der Fahrer läßt uns auf der Brücke aussteigen. Jetzt geht es zu Fuß weiter, eine Treppe hinunter und den Fluß entlang. Der Gestank nimmt uns den Atem, der Fluß stinkt bestialisch und ist voller Plastikmüll. Am anderen Ufer die Reste des berüchtigten smokey mountain bestückt mit Elendshütten. Auf unserem Weg Bretterverschlag an Bretterverschlag und überall liegt Müll und Dreck. Es wimmelt von Kindern, unglaublich viele Menschen sind hier auf engstem Raum zusammengepfercht. Nach einer Weile kommen wir zu einem riesigen mehrstöckigen Gebäude aus Beton. „Da gehen wir ganz hoch aufs Dach, da sind unsere Gabriela-Frauen“, sagen unsere Führerinnen. Die riesigen Betonbunker (27 Gebäudekomplexe für 11000 Menschen) sind verfallen und baufällig, ein dunkles Loch am anderen, in dem ganze Familien leben. Es geht ca. 6 Stockwerke nach oben, es fehlen Geländer und manchmal Treppenstufen; keine Fenster oder Gitter zum Schutz – und überall turnen Kinder herum. Eigentlich müßten hier ständig Kinder in die Tiefe stürzen. Wir können gar nicht hinschauen….

Endlich sind wir ganz oben auf der Dach-Terasse und in alle Himmelsrichtungen breitet sich vor uns das ganze Elend aus: der vermüllte Fluß, eine giftige Kloake, die Reste des Smokey mountain, verfallene Betonbunker und Fabrikhallen, Wellblechhütten, Dreck und Gestank, keinerlei Grün, eine Luft zum Schneiden und eine unsägliche Hitze. Das alles ist schon bedrückend. Man sieht und riecht förmlich: die Umweltprobleme und die sozialen Probleme können nur zusammen gelöst werden.

Aber wir stehen auch an der Wiege von Gabriela, denn hier begann die Arbeit des Frauenverbands. Die Frauen von Gabriela /Tondo in ihrem Zentrum auf dem Dach sind sehr erfrischend. Verwundert erfahren wir, dass die Menschen für die Löcher in den Betonbunkern auch noch Miete bezahlen müssen. Da jedoch nur 1% eine reguläre Arbeit hat und die meisten sich als mies bezahlte Wachmänner, Fahrer, Bauarbeiter oder Straßenhändler durchschlagen, können viele die Miete nicht aufbringen und sollen dann vertrieben werden. „Heute ist eine Protestversammlung gegen hohe Strompreise“, erzählt Delia. Sie zeigt uns den ehemaligen Schlachthof, welcher zu einer Krankenstation umgebaut wurde: „Diese Krankenstation kann 15 Patienten am Tag kostenlos behandeln – sie ist für 60 000 Menschen!! Die Privatisierung und damit kostenpflichtige Gesundheitsversorgung ist eine Katastrophe für die Armen.“ Die Tondo-Frauen organisieren Gesundheitserziehung, Geburtenkontrolle, Verhütungsmittel, holen bei Bedarf einen Arzt, sie schließen die Menschen zusammen zum Kampf gegen Drogen, Gewalt und Vertreibung. Sie fordern für die Kinder freien Zugang zu Schulen. Sie organisieren und schulen Kinder, Jugendliche, Familien und die Frauen. Und selbst hier – im ärmsten Stadtteil Manilas – haben sie für die Taifun-Opfer z.B. Kleider gesammelt. „Das haben wir verbunden mit Aufklärung und politischer Diskussion, die Abholzung führt zu Überschwemmungen, an die Stelle der Wälder kommen Ananas- und Kokusnuss-Plantagen für den Export. Wir klären die Menschen auf über die Gesellschaft und die Ursachen der Probleme.“

Der Kampf gegen die sogenannten „demolitions“ (Demolieren der Hütten und Vertreibung der Bewohner durch Staat und Polizei) ist in allen Urban Poor Alltag, so auch in Tondo. Delia erzählt: „Die Regierung will hier alle umsiedeln – hinaus außerhalb der Stadt, aber dort gibt es keine Arbeit, kein Dach – nichts! Die Regierung hat sogar die Verfassung geändert, nun können diese Gebiete von Investoren gekauft werden. Geplant ist hier ein internationaler Hafen und ein Mini-Honkong.“

Delia und ihre Freundinnen haben uns echt imponiert – Respekt Gabriela!!

„Es ist ein ständiger Kampf, aber wir haben doch nichts zu verlieren!“ Und sie betonen: „Wir werden siegen, weil wir Führerinnen ausgebildet haben und unsere Jugend das Kämpfen gelernt hat.“

Als wir wieder über die halsbrecherischen Treppen nach unten klettern und am Fluß entlang zurück gehen, hat die Hölle auf Erden doch einige Glanzlichter bekommen.

„Müll-Menschen“

In den Megastädten der Welt häufen sich die Müllberge. Auf und um diese Müllberge herum siedeln sich die Müllsammler an, die davon leben, was andere wegwerfen. So entstand auch der berüchtigte Smokey mountain in Manila. In den 1950iger Jahren war das Gebiet noch ein Fischerdorf. Ab 1954 entstand der Müllberg Smokey moutain und um diesen Müllberg entstand die Slumsiedlung mit damals 30 000 Menschen. Im Sommer 1995 ließ Präsident Fidel Ramos die riesige Müllhalde gewaltsam räumen. Viele Müllsammler lebten dann auf der Deponie im benachbarten Stadtteil Payatas. Am 10. Juli 2000 stürzte nach einem Monsunregen der riesige Abfallberg in sich zusammen und begrub 260 Menschen.

Unsere Erlebnisse in Manila bestätigen voll und ganz, was das Buch „Katastrophenalarm – was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ so beschreibt:

„In den Megastädten mit Zigmillionen Einwohnern herrschen lebensfeindliche Umweltbedingungen vor: dauerhafte Lärmbelästigung, übersteigerte und unfallträchtige Verkehrsdichte, Vermüllung, Abwasserkloaken und hohe Belastungen mit Feinstaub, Kohlendioxid und Stickoxiden. Etwa eine Milliarde Menschen leben in städtischen Slums. So elend die Lebensbedingungen breiter Massen dort sind, so sehr sind die Megastädte auch Schmelztiegel von Revolutionen geworden.“

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