„Unsere Körper sind im Gefängnis, aber unser Geist ist in der Freiheit!“

Besuch bei den politischen Gefangenen in Camp Crame in Manila /Philippinen

(Korrespondenz aus Albstadt/Zollernalb)

 Im Rahmen einer Reise in die Philippinen, die von DPF (Deutsch-Philippinische Freunde) vorbereitet und geführt wurde, besuchten wir am 15. April 2014 die politischen Gefangenen in Camp Crame. Wir – das sind unsere zwei philippinischen Freunde und Begleiter, die jeden Sonntag politische Gefangene in abwechselnd drei Gefängnissen besuchen, und 6 aus unserer deutschen Reisegruppe. (s.Photo) Unser Besuch war angemeldet und Kopien der Reisepässe der Besucher mußten vorab geschickt werden.

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IMG_6512Kurz vor neun Uhr morgens sind wir da. Camp Crame ist nicht nur ein Gefängnis, sondern eine zentrale Polizeistation. Vor dem Eingang zum Gefängnis werden unsere Reisepässe mit den Kopien verglichen und einbehalten. Fotoapparate müssen abgegeben werden und unsere Taschen werden  kontrolliert. Wir werden durch einen Gang geführt in einen größeren Raum, der mit Maschendraht und Stacheldraht umzäunt, nach oben jedoch offen ist – sozusagen unter freiem Himmel. Gespannt warten wir auf unsere gefangenen Genossen. Endlich kommen sie, 5 Frauen und 7 Männer. Alle tragen orangefarbene T-Shirts, auf zwei davon steht: „freedom for all political prisoners“. Nach der ersten Begrüßung stellen wir die Tische und Bänke im Raum um, sodaß wir in einem großen Kreis sitzen. Jetzt stellt sich jeder Gefangene und Besucher ausführlich vor. Eddie Serrano (62) ist schon 10 Jahre im Gefängnis, andere wurden erst am 22. März 2014 verhaftet. Wilma Austria-Tiamzon (61) ist das 4. Mal im Gefängnis: 1973/74 und 1989 unter Marcos, 1994 unter Ramos und nun erneut seit dem 22. März 2014. Trotz Rückenschmerzen strahlt Wilma Wärme und Zuversicht aus. Sie sagt sie kenne ein deutsches Wort und reckt dabei die Faust:  „Vorwärts!“ Das ruft sie immer wieder: „Vorwärts Genossen!“ und lacht – das Wort gefällt ihr offensichtlich und ihr Lachen steckt uns alle an.

Die Genossen berichten, dass sie entweder überhaupt keine Anklage und Anhörung haben, oder man ihnen die haarsträubensten Verbrechen unterstellt: Brandstiftung, Raubüberfall, Mord, versuchter Mord, Kidnapping, Waffenschmuggel …. Oft werden mehrere Anklagepunkte erhoben und immer wieder neue hinterher geschoben. Reynante Gamarra (57) wurde im April 2012 verhaftet und hatte bis heute keine Anhörung. Uns wird klar: hier herrscht die totale Willkür des Regimes. 5 Gefangene sind NDF-Berater, müßten dafür eigentlich Schutz und Immunität genießen, aber die Regierung schert das einen Dreck. Keiner weiß, für was und wie lange er noch eingesperrt ist. Keiner weiß, welche Anklagepunkte noch kommen, keiner weiß, wann oder ob überhaupt eine Anhörung, Verhandlung oder irgendwas ist. Wir sind entsetzt und begreifen: diese Genossinnen und Genossen haben nur einen Schutz: die internationale Solidarität. Tags über dürfen sie zusammen sein, nachts sind die Zellen von 20 Uhr bis 6 Uhr geschlossen. Doch sie lachen: „Unser Körper ist eingesperrt, aber unser Geist ist in der Freiheit!“

Wir haben eine Gitarre mitgebracht und singen deutsche Arbeiter- und Freiheitslieder vor und erklären auf Englisch den Inhalt. Da nimmt Reynante Gamarra die Gitarre und sie singen uns ihre philippinischen Volks- und Freiheitslieder vor und so geht es hin und her. Einer trägt ein Gedicht auf Tagalog vor. Schließlich essen wir gemeinsam – Gefängnisessen und Mitgebrachtes. Dann zeigen wir den Rote Fahne-Artikel „Verhaftungswelle auf den Philippinen“, und lesen ihn auf Englisch vor. All das geschieht unter den Augen und Ohren der Gefängniswärter, die um unseren „Käfig“ herumstehen. Schließlich bietet ein Wärter sogar an, für uns ein Photo zu machen. Wir stellen uns auf mit erhobenen Fäusten und der Polizist macht ein Photo – grotesk!!

Wir reden schließlich auch in kleinen Gruppen. Benito Tiamzon will wissen, wie wir die Kriegsgefahr in der Ukraine einschätzen. Auch interessiert ihn unsere Meinung darüber, in welchem Land die Revolution beginnen wird. Wir sagen, dass das keiner wissen kann, sondern heute die internationale Revolution ein Gesamtprozeß ist. Wir sprechen über das System der kleinbürgerlichen Denkweise und über den Antikommunismus. Benito meint dazu: „Ja, man dämonisiert uns in der Gesellschaft.“ Schnell fliegen die Stunden dahin und es wird Zeit unsere Geschenke auszutauschen. Ein Gefangener hat ein wunderschönes Stoffbild gemacht, auf dem das Wort „Freiheit“ in vielen Sprachen gestickt ist. (s.Photo) Wir schenken ihnen schöne selbstgemachte Notizbüchlein, Schokolade und Briefe.

Zum Schluß singen wir die „Internationale“ – auf deutsch und in Tagalog – das passt wunderbar zusammen und in unseren Augen stehen Tränen.

Punkt 15 Uhr müssen wir Abschied nehmen. Wir umarmen uns und flüstern: „We will see us again, in freedom!“ Ein letzter Gruß, ein letzter Blick – dann sind wir draußen, traurig, dass wir unsere Freunde nicht mit uns nehmen konnten. Die Lebensfreude, Kampfmoral und Ausstrahlung der gefangenen Genossinnen und Genossen hat uns tief bewegt. Auch wenn wir ihre Körper dort lassen mußten, ihren freien Geist nahmen wir mit.

Info-Kasten:

Aktuell sind 17 NDFP – Berater in Haft. Derzeit finden keine formellen Friedensverhandlungen statt, jedoch Gespräche auf informeller Ebene. NDFP = Nationaldemokratische Front Philippinen.

In Camp Crame sind inhaftiert:

Eddie Serrano, 62, seit 10 Jahren im Gefängnis, NDF-Berater

Dionisio Almonte, 55, NDF-Berater

Joel Enano, 36, verhaftet am 22. März 2014

Ramon Argente, 54, seit 2013 im Gefängnis

Lorraine Castillo, 38, verhaftet am 22. März 2014

Rex Villaflor, 35,

Gloria Almonte, 53, verhaftet im Januar 2013

Jeosie Nepa, 35, verhaftet am 22. März 2014 in Cebu

Arlene Panea, 25,

Benito Tiamzon, 63, verhaftet am 22. März 2014, NDF-Berater

Wilma Austria-Tiamzon, 61, verhaftet am 22. März 2014, NDF-Beraterin

Reynante Gamarra, 57, verhaftet im April 2012, NDF-Berater

Es gibt noch weitere politische Gefangene in anderen Gefängnissen in Manila.