Tageszeitung junge Welt / Berlin
29.07.2014 / Ausland / Seite 6
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Mehr Frust als Frieden

Philippinen: Moro-Rebellen werfen Regierung Verwässerung von im März geschlossenen Friedensvertrag vor

Von Rainer Werning

In den Philippinen mehrt sich bei der Moro Islamischen Befreiungsfront
(MILF) die Unzufriedenheit über die geringen Fortschritte beim Aufbau
einer autonom verwalteten Region für die muslimische Bevölkerung. Am
vergangenen Wochenende sprachen führende Persönlichkeiten der MILF sogar davon, daß »der Mindanao-Friedensprozeß gefährdet« sei.

Am 27. März war im Präsidentenpalast Malacañang der Hauptstadt Manila
der Friedensvertrag zwischen der Regierung und der bedeutendsten
muslimischen Rebellenorganisation unterzeichnet worden. Nach über 40
Verhandlungsrunden im Zeitraum von 17 Jahren unter der Schirmherrschaft der malaysischen Regierung war das »umfassende Abkommen über die Schaffung der Region Bangsamoro« – was wörtlich übersetzt »Land der Moros«, der muslimischen Bevölkerung, heißt – besiegelt worden.

Die Verhandlungsführer beider Seiten, Miriam Coronel-Ferrer für die
Regierung und Mohagher Iqbal für die MILF, sprachen von einem
»historischen Meilenstein«. Dem Vertrag war Mitte Oktober 2012 eine
Rahmenvereinbarung vorausgegangen, die vorsah, die Aufteilung von
Steueraufkommen und politischen Machtbefugnissen zu regeln. Bis Ende
Januar konnte darüber Einigkeit erzielt werden. Parallel war eine
15köpfige Übergangskommission unter dem Vorsitz von Mohagher Iqbal
beauftragt worden, den Entwurf eines entsprechenden
Bangsamoro-Grundgesetzes (BBL) auszuarbeiten. Dieses sollte
schnellstmöglich an das Präsidialamt weitergeleitet werden, damit
Präsident Benigno Aquino III. es den Kongreßabgeordneten und Senatoren als eilbedürftiges Gesetz zur Ratifizierung vorlegen könnte.

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

01.07.2014 / Ausland / Seite 6

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 Magere Bilanz

 

    Nach vierjähriger Amtszeit von Präsident Aquino preist sich die

    philippinische Regierung grundlos selbst

 

Von Rainer Werning

 

Er werde die Menschenrechte achten, den Sumpf der Korruption austrocknen und für einen volksnahen, geradlinigen Regierungsstil sorgen. Das waren die Kernversprechen von Benigno S. Aquino III, als er am 30. Juni 2010 in den Präsidentenpalast Malacañang in Manila einzog. »Wenn es keine Korruption gibt, herrscht auch keine Armut. Ihr seid mein Boß«, versicherte der Präsident publikumswirksam seinen Wählern. So sollte Volksnähe suggeriert und das schlechte Image philippinischer Politik als »Trapo«-Politik abgestreift werden. »Trapo« steht für »traditionelle Politiker«, die sich schamlos bereichern und die öffentliche Domäne unter sich als private Jagdreviere abstecken.

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Tageszeitung junge Welt / Berlin

02.05.2014 / Ausland / Seite 7
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Marschmusik in Manila
Philippinen und USA verstärken militärische Kooperation. China und radikale Linke im Visier
Von Rainer Werning
Die letzte Etappe seiner Ost- und Südostasienreise führte US-Präsident
Obama am Montag und Dienstag in die Philippinen, den aufgrund knapp
50jähriger Kolonialherrschaft bis 1946 engsten Verbündeten der Vereinigten
Staaten in der Region. Während der Obama-Visite herrschte landesweit die
höchste Alarmstufe; die Luft- und Seekorridore wurden streng bewacht.
Die Aquino-Regierung begrüßte den Besuch Obamas als verheißungsvolle
Unterstützung der eigenen Sicherheits-, Außen- und Innenpolitik.
Festgeschrieben und dokumentiert ist dies in dem am Montag unterzeichneten
»Abkommen über Erweiterte Verteidigungskooperation«, AEDC. Kritiker – unter
ihnen die Exsenatoren Rene Saguisag und Wigberto Tañada sowie der frühere
Vizepräsident Teofisto Guingona, Jr. – sprechen indes von »einem einseitigen
und intransparenten Deal«, und linke Organisationen wie Bayan befürchten
den »Ausverkauf nationaler Interessen und die unverhohlene Re-
Amerikanisierung«.
Eingebettet ist das AEDC in die von Washington seit Herbst 2011 verkündete
»Pivot to Asia«-Strategie. Demnach gilt die Region künftig als Dreh- und
Angelpunkt US-amerikanischer Militär-, Außen- und Handelspolitik. Deren Ziele
sind in dem Anfang Januar 2012 vom US-Verteidigungsministerium
veröffentlichten Dokument »Sustaining U.S. Global Leadership: Priorities for
21st Century Defense» klar formuliert. Aus Sicht der Vereinigten Staaten ist es
aus sicherheitspolitischen Erwägungen notwendig, die strategisch bedeutsamen
Seewege in Ost- und Südostasien zu kontrollieren und den Transport
gleichermaßen strategischer Ressourcen wie Öl und Gas zu garantieren.
Seit der Unabhängigkeit der Philippinen im Sommer 1946 sind zwischen Manila
und Washington diverse Verträge unterzeichnet worden, die das bilaterale
Verhältnis auf militärischer Ebene einseitig zu Gunsten der USA regelten,
darunter das Militärbasenabkommen (1947), der Gegenseitige
Verteidigungspakt (1951) und die Mitgliedschaft in der als »Manila-Pakt«
bekannten SEATO (1954). Dieses Bündnis war in der philippinischen
Hauptstadt als südostasiatisches Pendant zur NATO als stramm
antikommunistisch ausgerichtetes Projekt aus der Taufe gehoben worden.
Es verpflichtete damals die philippinischen Streitkräfte und andere
Vasallenarmeen, Schulter an Schulter mit ihrem neokolonialen Herren
gegen die Völker Vietnams, Laos’ und Kambodschas zu kämpfen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges am 16. September 1991 entschied der
philippinische Senat zwar, bis Ende 1992 die US-Basen im Lande zu schließen.
1999 und 2001 beschloß allerdings die philippinische Regierung ein
Streitkräfteaufenthaltsabkommen und einen Vertrag über gegenseitige
logistische Unterstützung. Das AEDC geht jedoch weit darüber hinaus.
Mindestens zehn Jahre lang können die USA Militäreinrichtungen der
philippinischen Streitkräfte nutzen, ihre Truppenkontingente auf Rotationsbasis
jederzeit aufstocken, in Oyster Bay auf der westlichen Insel Palawan eine neue
Basis errichten und im Land hochmodernes Kriegsmaterial lagern.
Gegenüber China soll signalisiert werden, daß schwelende
Auseinandersetzungen um Besitzansprüche von Inseln im Südchinesichen
Meer (von philippinischer Seite mittlerweile in Westphilippinisches Meer
umbenannt) nicht zu dessen Gunsten entschieden werden. Schließlich soll im
»Kampf gegen den Terror« der Kommunistischen Partei der Philippinen und
ihrer Guerilla in Gestalt der Neuen Volksarmee sowie muslimischen
Widerstandsorganisationen im Süden das Rückgrat gebrochen werden. #

Tageszeitung junge Welt / Berlin

27.03.2014 / Ansichten / Seite 8

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Rainer Werning

 

Bei solch überbordender Friedensbeschwörung kann einem schwindelig

werden. Oder man hat Amnesie bereits als Versatzstück politischer

Progammatik akzeptiert. In der philippinischen Hauptstadt Manila wird heute wieder einmal ein Ereignis »historischer Tragweite« beschworen. Die Regierung unter Präsident Benigno Aquino trifft sich mit den Topkadern der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) zum endgültigen Friedensdeal. Das klingt gut und eröffnete, wenn er denn realisiert würde, tatsächlich eine verheißungsvolle Perspektive für die in dieser Region langjährig geschundene Zivilbevölkerung.

 

Der Moro- oder Mindanao-Konflikt ist der mittlerweile älteste in

Südostasien. Er ist das Produkt einer fatalen Verkettung von externem

Kolonialismus – Spanien und die USA hatten dort immerhin von 1571 bis

1946 uneingeschränkt das Sagen – und interner Kolonisierung. Statt

letzerem ließe sich auch von Siedlerkolonialismus sprechen. Die Konsequenz: Die Südphilippinen waren lange die Heimstätte indigener (animistischer) und muslimischer Volksgruppen. Bis die gnadenlos überlegene Feuerkraft US-amerikanischer Kolonialtruppen und danach gezielte  Landumsiedlungsprogramme der Regierungen in Manila für reichlich sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zündstoff sorgten. Die von den Spaniern abschätzig »Moros« genannten Muslime wurden zunehmend zu Squattern in ihrem eigenen Land.

 

Bewaffneter Widerstand gegen die Politik des »imperialen Manila«

formierte sich erneut seit Ende der 1960er Jahre. Federführend war

damals die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF). Ihr Selbstverständnis:

Moros, nicht Filipinos. Ihr Ziel: eine unabhängigen Bangsamoro-Republik

mit Minsupala (den Inseln Mindanao, Sulu und Palawan) als Kernland. Die

Reaktion aus Manila: Militarisierung und Krieg. Bis kurz vor Weihnachten

1976 die Emissäre beider Seiten im libyschen Tripolis einen Friedensvertrag unterzeichneten. Darin erkannte die MNLF-Führung unter Nur Misuari die Oberhoheit Manilas an. Prompt wurde er der Kapitulation geziehen, und Freunde von einst etablierten im Gegenzug eben die MILF. Diese sah sich fortan im Aufwind. Erst recht, als Misuari Anfang September 1996 auch noch seine Unterschrift unter das umjubelte Endgültige Friedensabkommen setzte.

 

Heute fühlt sich Misuari übergangen und verraten. Seine Anhänger und die

Armee lieferten sich noch im September 2013 in der Hafenstadt Zamboanga

ein dreiwöchiges Gefecht. Und als selbst die MILF im Sommer 2008 einen

ähnlichen wie den nun vorliegenden Vertrag mit Manila ausgehandelt hatte, stoppte der Oberste Gerichtshof den Deal. Schlimmer noch: Erneut mußte die geschundene Zivilbevölkerung tiefer in Deckung gehen. Der Frieden schien ja zum Greifen nahe.

 

          Der Autor verfolgt den Konflikt seit Mitte der 1970er Jahre

          und gab u.a. das »Handbuch Philip

Tageszeitung junge Welt / Berlin

27.03.2014 / Ausland / Seite 7

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    Philippinen: Regierung und Moro-Rebellen unterzeichnen Abkommen, das

    den Bürgerkrieg beenden soll

 

Von Rainer Werning

 

Vor etwa 1000 geladenen Gästen aus dem In- und Ausland soll am heutigen

Donnerstag im Präsidentenpalast von Manila zeremoniell der Friedensvertrag zwischen der Regierung der Philippinen und der bedeutendsten muslimischen Rebellenorganisation, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), unterzeichnet werden. Über 40 Verhandlungsrunden unter der  Schirmherrschaft der malaysischen Regierung waren innerhalb von 17 Jahren notwendig, um dieses »umfassende Abkommen über die Schaffung der Region Bangsamoro« – was wörtlich übersetzt »Land der Moros«, der muslimischen Bevölkerung, heißt – auszuarbeiten. Noch im Sommer 2000 hatte der damalige Präsident Joseph E. Estrada der MILF im Zuge eines »totalen Krieges« mit der »Pulverisierung« gedroht. Nun stimmt diese Organisation, die einst für einen unabhängigen Staat in den Südphilippinen gekämpft hatte, gemeinsam mit Präsident Benigno Simeon Aquino III in dessen Amtssitz ein Hohelied auf den Frieden an.

 

Die Reaktionen waren bereits im Vorfeld durchweg überschwenglich. »2014

wird für den Süden des Landes als ein Jahr des Friedens in die Geschichte eingehen«, erklärte Mary Ann Arnado, Generalsekretärin des Mindanao Peoples Caucus. In zivilgesellschaftlichen und Kirchenkreisen wird diese Stimmung ebenso geteilt wie in den Medien des Landes. Die Verhandlungsführer beider Seiten, Miriam Coronel-Ferrer für die Regierung und Mohagher Iqbal für die MILF, sprechen beide von einem »historischen Meilenstein«. Für Coronel-Ferrer ist der Vertrag gar eine »Quelle der Inspiration« für Länder mit »ähnlichen Problemen« und ein »weltweit vorbildlicher Beitrag zur Friedenssicherung«. Der malaysische Vermittler bei den Verhandlungen, Tengku Dato’ Ab Ghafar Tengku Mohamed, würdigte den Vertrag ebenfalls als herausragend: »Können Sie mir ein anderes Land mit einem 90prozentigen Anteil an Katholiken nennen, das sich anschickt, der muslimischen Bevölkerung Autonomie zu gewähren?«

 

Dem Vertrag vorausgegangen war Mitte Oktober 2012 eine Rahmenvereinbarung, die vorsah, unter anderem die Aufteilung von

Steueraufkommen und politischen Machtbefugnissen unter Dach und Fach zu

bringen. Bis Ende Januar konnte Einigkeit erzielt werden. Parallel zu diesen Verhandlungen war eine 15köpfige Bangsamoro-Übergangskommission unter dem Vorsitz von MILF-Verhandlungsführer Mohagher Iqbal damit beauftragt worden, den Entwurf eines entsprechenden Grundgesetzes auszuarbeiten. Dieses soll möglichst bis Ende des Monats an das Präsidialamt weitergeleitet werden, damit Aquino es den Kongreßabgeordneten und Senatoren noch vor Beginn der Sommerpause im Juni als eilbedürftiges Gesetz zur Ratifizierung vorlegen kann.

 

Teresita Quintos-Deles, Beraterin des Präsidenten in Fragen des

Friedensprozesses, hat bereits hoffnungsfroh signalisiert, daß der

Entscheidungsprozeß in beiden Kammern bis Ende des Jahres abgeschlossen

werden könnte. Sollte dieser Zeitplan eingehalten werden, stünde im ersten Quartal 2015 ein Plebiszit an. Abzuhalten wäre dieses in jenen Gebieten, die heute noch zur »Autonomen Region in Muslim Mindanao« (ARMM) zählen sowie in weiteren Gemeinden, Dörfern und Städten der Provinzen Lanao del Norte, Nordcotabato und Basilan. Außerdem können sich andere Provinzen, Städte und Gemeinden per Volksentscheid Bangsamoro anschließen.

 

Die Abstimmung über eine tragfähige Regionalregierung der neuen Autonomie, die den Schlußpunkt des gesamten Friedensprozesses darstellen

wird, soll im Zuge der im Frühjahr 2016 anstehenden Präsidentschafts-,

Gouverneurs- und Kongreßwahlen erfolgen. Bis dahin will sich die MILF

als politische Partei konstituiert und ihre militärischen Einheiten in die neue Bangsamoro-Polizei umgewandelt haben.

 

Bei aller Euphorie darf nicht vergessen werden, daß ähnliche Verträge

mit der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) 1976 und 1996 in

Sackgassen geführt haben. Weil die MNLF letztlich die nationale

Souveränität und staatliche Integrität der Philippinen anerkannte,

kehrten ihr jene Kräfte den Rücken, die aus Protest dagegen die MILF

gründeten. #